Wochenduell: Nach Fehlentscheidungen beim EsafBraucht es einen VAR im Schwingsport?
Eine Fehleinschätzung des Kampfrichters kostet Pirmin Reichmuth den Schlussgang, und Joel Wicki hätte eigentlich gar nicht gewinnen dürfen. Ist es an der Zeit für einen VAR?

Ja, ein Videobeweis würde den Schwingsport fairer machen – und unter Umständen auch spannender.
Es ist wohl die Szene, die im Nachgang des Esaf 2022 in Pratteln für den meisten Gesprächsbedarf sorgt: Schlussgang, kurz vor 17.30 Uhr. Etwas mehr als 12 Minuten sind im Schwingkampf zwischen Joel Wicki und Matthias Aeschbacher vergangen, als Wicki zum entscheidenden Schwung ansetzt, seinen Berner Konkurrenten auf den Rücken legt und sich zum König kürt. Im Nachgang zeigen die TV-Bilder jedoch: Das Resultat hätte nicht zählen dürfen, weil Wicki mit beiden Händen keinen Griff mehr an den Schwinghosen oder am geschlossenen Teil des Ledergurtes des Gegners hat.
Und es ist nicht die einzige Fehlentscheidung der Kampfrichter an diesem Fest: Schlussgang-Anwärter Pirmin Reichmuth erzielte gegen Widersacher Bernhard Kämpf im 7. Gang ein Resultat. Der Kampfrichter übersah dies aber, Reichmuth verlor und musste sich von seinen Schlussgangträumen verabschieden.
Es waren Fehlentscheide, die grossen Einfluss auf den Ausgang des Festes hatten. Und mit einem Videobeweis einfach zu verhindern gewesen wären. Deshalb sagt auch König Wicki, der 2019 im Schlussgang gegen Christian Stucki selbst von einem Videobeweis profitiert hätte: «Ich würde vorschlagen, dass man das einmal testet.»
Eine Probephase mit einem Videobeweis würde dem Sport guttun. Schliesslich geht es bei einem Eidgenössischen mittlerweile auch um Millionen. Da kann man ruhig auch etwas ins Fairplay investieren. Man müsste ja nicht für jeden Ring den Videobeweis einführen. Aber zumindest dort, wo die Spitzenpaarungen stattfinden.
Viele Schwingfans und Funktionäre, die gegen den Videobeweis sind, kritisieren, dass die Schwingfeste so in die Länge gezogen und die Emotionen verloren gehen würden. Ähnliche Diskussionen gab es auch im Fussball bei der Einführung des VAR. Zugegeben, auch ich war damals skeptisch. Aber der Video Assistant Referee hat sich bewährt. Die Spiele wurden fairer. Und wer in letzter Zeit einmal in einem Fussballstadion war, kann bestätigen, dass die Stimmung und die Emotionen trotz Videobeweis keineswegs verloren gegangen sind und ein Spiel kaum länger dauert.
Vielmehr gibt es sogar eine neue Art der Spannung: das Warten auf die endgültige Entscheidung des VAR. Diese könnte auch den Schwingsport spannender machen. Luc Durisch
Nein, durch den Videoassistenten ginge die ganze Romantik, Tradition und Emotionalität des Schwingsports verloren.
Es ist unbestritten, dass der entscheidende Wurf von Schwingkönig Joel Wicki im Schlussgang gegen Matthias Aeschbacher irregulär war. Der Innerschweizer hatte seine Hände nicht an der Hose seines Gegners. Aus diesem Grund jedoch einen Video Assistant Referee einzuführen, wäre der falsche Ansatz. So ginge die ganze Romantik, Tradition und Emotionalität des Schwingsports verloren.
Denn das Schwingen ist nun mal eine Sportart, der eine stark menschliche Komponente innewohnt. Dafür werden keine Maschinen benötigt, keine Bälle, keine Schläger. Es ist ein Kampf zwischen Mensch und Mensch. Und wo Menschen involviert sind, passieren Fehler.
So wie am Esaf. Der Fehlentscheid im Schlussgang stellte dabei keinen Einzelfall dar: Schon im siebten Gang zwischen Pirmin Reichmuth und Bernhard Kämpf hatte Reichmuth seinen Gegner bereits auf den Boden gelegt, doch die Kampfrichter liessen den Kampf weiterlaufen. Kämpf hingegen gelang es im nächsten Zug, Reichmuth auf den Rücken zu legen – und die Richter erklärten Kämpf zum Sieger.
Es ist ein Entscheid, der Reichmuth die Teilnahme am Schlussgang kostet. Und ein Entscheid, zu dem es durch eine vorherige Konsultation des VAR gar nicht erst gekommen wäre. Doch wo der VAR seine
Vorteile hat, bestehen auch Nachteile. Und die kommen im Kontext des Schwingsports besonders zum
Tragen. Kämpfe enden dort teils plötzlich innert Sekunden. Der Videoassistent würde dafür sorgen, dass im Falle eines möglichen Fehlentscheids die Kämpfe in die Länge gezogen werden. Und das sorgt für einen Spannungsabfall.
Eine weitere Kinderkrankheit des VAR ist die Frage, wann er sich überhaupt einschalten soll. Eigentlich soll er das nur bei einer klaren Fehlentscheidung. Im Fussball zeigte sich jedoch bereits des Öfteren, dass nicht ganz klar ist, ab wann dies der Fall ist. Dieses Problem könnte auch im Schwingsport nicht ausgemerzt werden, wo es auch nach der Betrachtung der Zeitlupe nicht selten zwei Meinungen darüber gibt, ob der eine Schwinger jetzt auf dem Kreuz lag oder nicht. Wo Kampfrichter eine individuelle
Betrachtungsweise haben, da hat dies auch der Videoassistent.
Ein eindeutiger Entscheid kann daher selten garantiert werden. Im Sinne der sportlichen Fairness wäre es daher am sinnvollsten, eine derartige Diskussion in nächster Zeit gar nicht erst fortzuführen, zumal es auch aus finanzieller und technischer Sicht schwierig umsetzbar ist. Daniel Schmidt
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