Wochenduell: Gewalt im FussballBraucht es ein Verbot für Gästefans in den Schweizer Stadien?
Nach den Ausschreitungen im Zürcher Derby flammt eine alte Diskussion im Schweizer Fussball wieder auf. Kommt es nun zu der härtesten Massnahme?

Ja, nur auf diese Weise können Stadionbesucher effektiv geschützt werden, ohne dass dabei unnötige Kosten entstehen.
Es wäre für alle Beteiligten das Beste, wenn Gästefans bis auf weiteres den Schweizer Fussballstadien fernbleiben. Rund anderthalb Jahre mussten Fussballspiele vor gänzlich leeren Rängen ausgetragen werden. Dementsprechend gross war die Freude auf die Rückkehr der Anhänger. Nur wenige Monate später wich diese Freude einer grossen Enttäuschung, weil sich gewisse Leute – man möchte sie nicht mal Fans nennen – einfach nicht im Griff haben. Dafür sollten sie nun Lehrgeld zahlen.
Man kommt sich vor wie im Kindergarten. Als wäre die Swiss Football League ein Elternteil, das seinem Kind Hausarrest aufbrummt, weil es unartig war. Doch anders scheint es nicht zu funktionieren. Auch deswegen, weil sich die SFL noch immer davor scheut, striktere Kontrollen gegen Vandalen durchzuführen. Zu Saisonbeginn schrieben diverse Fankurven in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass sie bei Kontrollen, wo Identitätskarten vorgezeigt werden müssen, über mögliche Strafverfolgungen nach Verstössen gegen das Sprengstoffgesetz wie beim Abbrennen von Pyrofackeln besorgt sind. Doch genau für solche Fälle sollte es doch dementsprechende Kontrollen geben! Datenschutz in allen Ehren, wer sich im Stadion daneben verhält, sollte auch dafür verfolgt und sanktioniert werden können.
Ansonsten wird der Stadionbesuch für friedliche Fans und Familien zum Risiko. So etwa wie beim Zürcher Stadtderby vom 23. Oktober, als FCZ-Ultras auf die Tartanbahn im Letzigrund stürmten und Pyros in den GC-Fansektor feuerten. Später tauchten Videos auf, die zeigen, wie Kinder hektisch über Sitze kletterten, um sich in Sicherheit zu bringen.
Junge Männer mögen das Bedürfnis haben, Dampf abzulassen, und nutzen dafür gern den Fussball als Plattform. Damit muss allerdings spätestens dann Schluss sein, wenn unschuldige Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden.
Doch nicht nur im Stadion fängt das Problem mit den Gästefans an. Für Auswärtsspiele zur Verfügung gestellte Sonderzüge werden regelmässig demoliert. Die Kosten dafür trägt der Steuerzahler. Ebenso wie für das hohe Ausmass an notwendigem Polizeiaufgebot vor Risikospielen.
Wenn die SFL also nicht rigoros mit Personenkontrollen, Videoüberwachung und Polizisten in Gästeblocks vorgeht, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Gästefans aus den Schweizer Stadien zu verweisen. Eine derartige Kollektivstrafe mag für friedliche Gästefans ungerecht sein, doch nur auf diese Weise können Stadionbesucher effektiv geschützt werden, ohne dass dabei unnötige Kosten entstehen. Benjamin Schmidt
Nein, Kollektivstrafen sind nicht die richtige Lösung. Stattdessen müssen die Täter nun endlich ermittelt und bestraft werden.
Es ist der hilflose Versuch eines ratlosen Gremiums. Nach den Ausschreitungen im Letzigrund denkt die Liga über die Schliessung der Gästesektoren nach. Oder anders gesagt: Wir haben keine Ideen mehr, also lösen wir das Problem, indem wir es verbieten. Mit diesem Ansatz könnte man den professionellen Fussball in der Schweiz ja gleich komplett untersagen. Finanziell lohnt sich der Aufwand für die Vereine sowieso nicht, die Wochenenden mit Bratwurst und Bier im Stadion zu verbringen, ist für die Menschen ungesund und auch Sicherheitskosten könnte man sparen. Was für ein Blödsinn.
Spätestens seit im Kindergarten die Pause abgebrochen worden ist, weil das Vreneli dem Peter den Ball weggenommen hat, wissen wir: Kollektivstrafen sind ungerecht. Immer. Weshalb soll ich als Lugano-Fan nicht einen wunderschönen Sonntag in Basel verbringen können, mit Rheinspaziergang, Mittagessen und anschliessendem Stadionbesuch, nur weil ein paar Idioten in Zürich mit Fackeln werfen? Es käme ja auch niemand auf die Idee, die Strassen zukünftig für alle Velofahrer zu sperren, wenn ein wild gewordener Rowdy eine ältere Dame mit seinem Mountainbike auf dem Fussgängerstreifen über den Haufen fährt.
Ob die Stadien tatsächlich sicherer werden, sollten die Gästesektoren geschlossen werden, ist zudem zumindest zu bezweifeln. Ein anonymer «Szene-Kenner», wie ihn der Autor nennt, erklärte im «Blick», dass diese Massnahme nach hinten losgehen könnte: «Vermischen sich die Fans auf den diversen anderen Tribünensektoren, wird es massiv aufwendiger, für die Sicherheit zu sorgen.» Dass sich Fans trotz geschlossenen Gästesektoren an die Auswärtsspiele verirren, ist so gut wie sicher. Die Schweiz ist ein kleines Land, die Wege zwischen den Stadien sind kurz. Und im Gegensatz zu anderen Ländern haben Besuche in fremden Stadien in der Schweiz Tradition.
Und damit wären wir bei der Fankultur, die doch während der vergangenen Corona-Monate von allen Seiten so sehr vermisst wurde. Das, was den Fussball ausmache, fehle, hiess es. Keine Atmosphäre, keine Seele. Auswärtsreisen sind ein wichtiger Bestandteil dieser Fankultur. Sie tragen zur Legendenbildung bei, die von einer an die nächste Generation weitergegeben wird. Glaubt man all den ausschweifenden Erzählungen an den Stammtischen, war schliesslich halb Basel in Carouge, als der FCB 1994 in die NLA aufgestiegen ist.
Dass die Zeit der wohlwollenden Worte und der symbolischen Signale vorbei ist, ist richtig. Was es nun braucht, sind Veränderungen, die es in Zukunft ermöglichen, Täter im Stadion zu ermitteln und für ihre Verbrechen zu bestrafen. Die Verantwortung dafür liegt bei der Polizei – nicht bei den Vereinen und auch nicht bei den Fankurven. Das Schliessen der Gästesektoren aber wäre sinnloser Aktionismus mit einem hohen Preis, der dem Schweizer Fussball schaden würde. Fabian Löw
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, die die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Contra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Wird die neue Abseitsregel den Fussball fairer und spannender machen?Ist Tyson Fury der beste Boxer in der Geschichte?Verpasst die Schweiz nach Xhakas Ausfall nun die WM?Soll der FCB den Vertrag mit Fabian Frei verlängern?
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