Wochenduell: Abstiegskampf im Schweizer FussballBraucht die Super League den FC Sion?
Am Freitag entscheidet sich im Duell gegen den FC Basel, ob die Walliser samt ihrem schillernden Präsidenten in die Challenge League absteigen. Wäre das ein Verlust für die höchste Schweizer Spielklasse?

Pro: Ohne Sion fehlt es der Super League an Unterhaltungswert
Ronaldinho. Kakà. Raùl. Wenn man die schillernden Namen dieser Legenden des Weltfussballs hört, kann man schon mal ins Schwärmen geraten. Und sie alle haben eines gemeinsam: Sie wären einst fast beim FC Sion gelandet. Ronaldinho war sogar Jugendspieler in Sitten, schlief gemäss Aussagen von Club-Präsident Christian Constantin zeitweise in dessen Haus. Aus verschiedenen Gründen liefen die genannten Weltstars dann doch nicht im Tourbillon auf. Doch sie dienen als Exempel dafür, dass Sion sich nicht davor scheut, die ganz grossen Namen in die Super League zu lotsen. So ist es immerhin gelungen, mit Gennaro Gattuso und Fabio Grosso zwei Weltmeister von 2006 ins Boot zu holen. Man darf ruhig argumentieren, dass die beiden nicht den erwünschten Erfolg hatten im Wallis. Doch es sind Stars wie sie, die der Liga ein internationales Flair verleihen, einen Hauch von Weltklasse spürbar machen. Und nur der FC Sion ist risiko- und ausgabefreudig genug dafür, solche Verpflichtungen möglich zu machen. Weitere dürften folgen. Doch nur bei einem Verbleib in der höchsten Spielklasse.
Verantwortlich für derartige Deals, ja, verantwortlich für sowieso alles, was bei den Sittenern so abgeht, ist mit Präsident und Besitzer Christian Constantin eine der schillerndsten und umstrittensten Figuren des Schweizer Fussballs. Provokateur, Kläger, Verschwörungstheoretiker, Rüpel – all diese Bezeichnungen treffen auf den 64-jährigen Unternehmer zu. Der gebürtige Walliser ist bekannt für sein hitziges Gemüt, das ihn nicht gerade zur beliebtesten Figur im Schweizer Fussball macht. Doch er sorgt auch regelmässig für Unterhaltung, die dem sonst oft monotonen Alltagsgeschäft der Super League nicht so schlecht zu Gesicht steht. Das beste Beispiel dafür ist wohl das sich stets drehende Trainerkarussell beim FC Sion, der wohl den Weltrekord für geschasste Trainer hält. Konstanz sieht anders aus, aber Sion vermag zu unterhalten – dank Christian Constantin. Der Super League würde etwas fehlen ohne CC.
Vor allem wegen Constantin lebt der FC Sion ein bisschen in seiner eigenen Blase, er wird anders geführt, hat in vielerlei Hinsicht zu Recht ein gewisses Bad-Boy-Image. Doch er tut für die Liga auch Gutes. Er ist nicht nur verantwortlich für die Ausbildung zahlreicher Talente, die später erfolgreich im nationalen und internationalen Fussball Fuss fassten, sondern er nahm auch Spieler unter seine Fittiche, die eigentlich schon abgeschrieben waren. Bei Valon Behrami ging dies vielleicht nach hinten los, für Pajtim Kasami jedoch war Sion das Sprungbrett zu einem zweiten Karriere-Frühling beim FC Basel, wo er jetzt Schlüsselspieler ist. Wahrscheinlich wäre dies nie so gekommen, hätte man Kasami nicht ins Wallis geholt. Und dies wäre mit Sicherheit nie so gekommen, hätte der FC Sion in der Challenge League gespielt.
Zu guter Letzt muss doch noch der Vergleich zum FC Vaduz gezogen werden. Jenem Verein, mit dem sich Sion um den Barrage-Platz streitet. Vaduz fehlt es an Tradition und Reputation, man leidet unter einer fehlenden Fankultur. Und: Vaduz liegt nicht einmal in der Schweiz. Demgegenüber steht der FC Sion, der sich als zweifacher Schweizer Meister und dreizehnfacher Cupsieger im Herzen des Wallis befindet. Die Super League braucht den FC Sion eher als den FC Vaduz. Benjamin Schmidt
Contra: Mit dem Prinzip «Hoffnung» allein verdient man sich keinen Platz in der Super League
Die bisher sehr unterhaltsame Lebensgeschichte von Christian Constantin wäre mit dem Abstieg des FC Sion in die Challenge League um eine Anekdote reicher. Dass ausgerechnet der handlungsfreudige Präsident sieben Monate mit der Entlassung des überforderten Trainers Fabio Grosso zugewartet hat, würde eine der Pointen dieser denkwürdigen Fussballsaison 2020/2021 bilden.
Dabei hatten schon im vergangenen November die Alarmglocken nach einem Fehlstart (ein Sieg aus neun Spielen) geläutet. Vor dem Spiel gegen Servette sagte der 64-Jährige zur SDA: «Wir sind mit Fabio Grosso in Schwierigkeiten geraten. Wir werden mit ihm wieder herausfinden.» Nun weiss man im Nachhinein: richtige Analyse, falsche Hoffnung.
Das Prinzip «Hoffnung» steht bei Mannschafts-Motivator Constantin immer noch an erster Stelle – auch nach zweimal Platz acht in den beiden vergangenen Saisons und dem Fehlstart in dieser Spielzeit. Und während andere Vereine nachhaltige Strategien festlegt und befolgt haben, hat der Walliser darauf gebaut, Talente aus aller Welt zwecks Weiterverkaufs (Stichwort «Matheus Cunha») und Altstars (Stichwort «Guillaume Hoarau») zu verpflichten. In der Hoffnung, dass das zusammengewürfelte Team innert kürzester Zeit gut Fussball spielt. Eine ordnende Handschrift des Präsidenten war nicht zu erkennen, dafür liess er sich dazu hinreissen, die Fäuste sprechen zu lassen (Stichwort «Rolf Fringer 2017»).
Wie weit der 64-Jährige der Realität entrückt ist, zeigen auch die Geschichten, die er dem «Blick» erzählt hat: Er sprach davon, wie er David Beckham (als Spieler), Zico (als Trainer) und Diego Maradona (als Maskottchen?) in den Tourbillon holen wollte. Natürlich hat die Verpflichtung von grossen Namen – mit Ausnahme von Gennaro Gattuso – nie geklappt.
Von seinem Selbstverständnis her ist CC zu gross, zu erhaben und zu leidenschaftlich für die Schweizer Liga. Sollten die Walliser am Freitag tatsächlich absteigen, wird es die Super League verschmerzen, dass der FC Sion und Christian Constantin fortan in der zweithöchsten Klasse für Aufregung sorgen. William Kong
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, die die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Ist Basel noch eine Sportstadt?Gehört ein Fussballclub seinen Fans?Bringt der Social-Media-Streik etwas im Kampf gegen Rassismus? Sollen die Olympischen Spiele von Tokio stattfinden?
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