Blocher-Dämmerung
Was Christoph Blocher und die SVP an Unruhe verbreitet hatten, war für manche zu viel des Guten. Im Vergleich zum Ausland wirkt die SVP aber geradezu zivilisiert – auch aus eigenem Zutun.

Es war der Tag der Versöhnung. Während in Frankreich die Barrikaden brannten, in Deutschland die Kanzlerin im Begriff war, ihren langen, unfreiwilligen Rückzug anzutreten und in England die Premierministerin am Brexit zu zerbrechen schien, wurden im lauschigen Bern zwei neue Bundesräte bestimmt. Im ersten Wahlgang schon stiegen Viola Amherd und Karin Keller-Sutter ins höchste Amt auf, wenig später wählte eine euphorisierte Bundesversammlung Ueli Maurer, den einstigen, scharfzüngigen Präsidenten der einstigen, brutalen Oppositionspartei SVP, mit einem der besten Resultate aller Zeiten zum Bundespräsidenten.
Als ob Maurer gespürt hätte, wonach sich unsere Politiker sehnten, nach eidgenössischer Fondue-Raclette-Laune, also nach dem Feierlichen und Erhabenen, hielt er eine überaus milde Rede, wie sie nur in unserem Land, einer der ältesten und bünzligsten Republiken der Welt, möglich ist – bünzlig im besten Sinne des Wortes: «Ich verspreche Ihnen, für gut vorbereitete, effiziente Sitzungen zu sorgen, damit Sie gute Entscheide fällen.» In welchem andern Land würde sich ein Präsident so seiner Bevölkerung empfehlen? Als tüchtiger Sitzungsleiter, der kein Traktandum übersieht und immer mit dem Blick auf die Uhr die kostbare Zeit der obersten Angestellten des Staates sparsam verwaltet. Wie glücklich muss dieses Land sein.
Dass Maurer von der Freude an der Politik sprach, dass er nach «Spass» verlangte, was, wenn man es nicht selber gehört hatte, etwas frivol klang, obwohl es nicht so gemeint war, kam zwar gut an im Bundeshaus, wie die Medien richtig bemerkten, was aber viel mehr Applaus, nein: Erleichterung auslöste, war die Tatsache, dass Maurer faktisch ein Bekenntnis zur politischen Elite dieses Landes ablegte, als er sich am Ende mit diesen Worten an die Parlamentarier wandte: «Es wäre schön, wenn wir gemeinsam etwas Spass und Freude und Vergnügen ausstrahlen würden, sodass auch die Leute das Gefühl haben, hey, da in Bern ist ein gutes Team, die lösen unsere Probleme.» Von einer Classe politique, die über die Köpfe der Bürger hinweg entscheidet, um das Land am Ende an die EU zu verschachern, von den verrotteten, sumpfigen Verhältnissen auf der Bundesterrasse war keine Rede mehr.
Das Ende von Blochers Ära ist schon oft prognostiziert worden, dennoch scheint Epochales im Gang.
Die SVP, die Partei, welche die Schweiz in den vergangenen 26 Jahren in ihren Bann geschlagen hatte, die sich gewehrt und gebrüllt hatte, diese Partei war am Mittwoch endgültig eingemeindet worden. Dass sie selber brav zwei offiziell nominierte Kandidatinnen gewählt hatte, gehörte dazu; dass Maurer so glänzend gewählt wurde, ebenso, und dass nirgendwo jener Mann zu sehen war, der in den letzten Jahrzehnten immer unübersehbar gewesen war. Von Christoph Blocher fehlte jede Spur.
Blocher–Dämmerung. Das Ende seiner Ära ist schon oft prognostiziert worden, dennoch scheint Epochales im Gang. Gewiss, Blocher zählt 78 Jahre, ewig kann selbst er nicht politisieren. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es ihn so, wie er das Land bewegt und erschüttert hat, nicht mehr braucht. Er hat alles erreicht. Von einer EU-Mitgliedschaft befindet sich die Schweiz so weit entfernt wie noch nie. Das Rahmenabkommen, das er gerne zum letzten Gefecht seiner Laufbahn gemacht hätte, dürfte scheitern, indem es aus Panik vor der SVP und neuerdings der SP ständig verschoben wird, bis es mangels Zuwendung verhungert ist. Und die SVP, die grösste Partei der Schweiz, wird vermutlich die grösste bleiben, auch wenn Blochers Nachfolger noch etwas am Stolpern sind. Unbehelligt sitzt die SVP in der Regierung, mit zwei ganzen Bundesräten statt einem halben. Man hat gewonnen, man hat sich angepasst. Was Blocher nicht erreicht hat, ist die Versöhnung im bürgerlichen Lager, die ihm wohl nie vorschwebte, aber nötig gewesen wäre, um die wachsende Macht des Staates zu brechen.
Wie so oft, wenn die Schweiz sich wandelt, sind nicht allein die Schweizer dafür verantwortlich. Der Zusammenbruch der politischen Eliten in Europa lässt unser Land wie einen Hort der Vernunft in einer Welt des Irrsinns erscheinen. Was Blocher und seine SVP an Unruhe verbreitet hatten, war für manche zu viel des Guten, doch im Vergleich zu den Vorgängen im Ausland wirkt die SVP nun geradezu zivilisiert – auch aus eigenem Zutun. Die Reihen werden geschlossen. «Hey, wir haben ein gutes Team.» Vor lauter Polarisierung erschöpft, das unglückliche Beispiel der übrigen Länder vor Augen, scheint die Schweiz sich den Versöhnern zuzuwenden. Für dieses Fach aber war Blocher immer der falsche Mann.
Markus Somm ist Autor der SonntagsZeitung
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch