Bilderschlacht um Gaza – ein Video und viele Fragen
Via E-Mail werden derzeit in der Schweiz Videos verbreitet, die angeblich erschütternde Bilder aus dem Gaza-Krieg zeigen. Das Beispiel illustriert, wie der Krieg um die öffentliche Meinung tobt.
«Hiermit sende ich Ihnen eine Video-Aufnahme, in der klar ersichtlich ist, wie die Hamas palästinensische Kinder zwingt, als Schutzschild zu dienen. Bei israelischer Abwehr werden sie dann als Opfer von Israels Soldaten präsentiert.» Absenderin des Videos ist eine Frau «Ester Beck» unter einer Bluewin.ch-Adresse.
Die Szene im Video
Das Video zeigt eine Strassenszene in Gaza. Wann das Video gedreht wurde und wo genau, wissen wir nicht. Bewaffnete Männer drängen ein Kind der Strasse entlang, dorthin, wo eine Gruppe unbewaffneter Männer hinter einer Hausecke steht. Sie suchen vermutlich Schutz vor einem feindlichen Beschuss.
Mitten auf der Strasse kauert ein zweites Kind. Ein bewaffneter Mann prescht über die Strasse, schnappt sich das Kind und zerrt es zu einer zweiten Gruppe Männer, die hinter einem Auto Schutz gefunden hat.
Unterschiedliche Interpretationen
Der eingeblendete (englische) Text macht dieselbe Aussage, wie Frau Beck in ihrem Mail. Zitat: Das Video zeige, wie die bewaffneten Männer die Kinder als Schutzschilder für sich selbst und andere Männer benutzten.Redaktion Tamedia hat das Video Personen aus verschiedenen politischen Lagern zur Beurteilung vorgelegt, sie «lesen» dieselben Bilder teilweise ganz anders: Ein Kind kauert auf der Strasse in der Schusslinie unsichtbarer Schützen. Der Bewaffnete rettet das Kind aus der Gefahr, indem er es von der Strasse zerrt, dorthin, wo schon die anderen Leute Schutz gefunden haben.
Die Macht der Bilder
Bilder haben eine eigene Kraft. Sie erzielen eine viel direktere Wirkung als ein geschriebener Text. Bilder vermitteln den Eindruck, man habe es mit eigenen Augen gesehen. Wir wissen inzwischen alle, dass Bilder manipuliert werden können. Dies kann mit oder ohne Absicht geschehen. Allein schon die Auswahl der Bilder, also was gezeigt wird, ist ein erste Manipulation.
Darüberhinaus erzielen Bilder eine völlig unterschiedliche Wirkung, je nach Kontext, in den sie gestellt werden. Und nicht zuletzt werden Bilder von denen, die sie betrachten, unterschiedlich wahrgenommen.
So kann jemand, der pro-israelisch eingestellt ist, die Szene im Video vielleicht tatsächlich als Beweis dafür lesen, dass Kinder als Schutzschilder verwendet werden, während alle anderen auf dem Video nur einen bewaffneten Mann sehen, der ein Kind aus der Schusslinie bringt.
Das Internet als Kriegsgebiet
Fotos und Videobeiträge sind schon länger eine zentrale Waffe des modernen Kriegs. Das Internet sorgt jetzt aber auch hier für eine neue Dimension. Beide Seiten im Gaza-Krieg nutzen die Möglichkeiten des neuen Mediums gezielt. Im Internet findet gemäss der Pressesprecherin des israelischen Verteidigungsministerium «die Schlacht um die öffentliche Meinung» statt. Israel betrachte das Internet ebenso als Kriegsgebiet.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs werden Internetportale wie Youtube, Flickr oder Facebook von Bildern überflutet. Die israelische Armee hat ihren eigenen Youtube-Kanal eingerichtet. Auch die Internetpräsenz von Hamas wird täglich stärker. Dazu kommen unzählige Internetforen, betrieben von den verschiedensten Organisationen und Privatleuten.
Informationsdschungel
Es ist fast unmöglich, sich aus dem Bilder- und Kommentardschungel ein reelles Bild des Schreckens in Gaza zu machen. Als Folge der ungefilterten Informationsflut scheinen auch immer mehr Konsumenten ihren traditionellen Medien nicht mehr voll zu vertrauen. Tatsächlich machen deren Reporter, wie zum Beispiel André Marty vom Schweizer Fernsehen, keinen Hehl daraus, dass auch sie einer steten Propagandaflut ausgesetzt sind und es ihnen immer häufiger nicht möglich ist, einen ihnen vermittelten Sachverhalt persönlich zu überprüfen.
Das Internet erlaubt es heute auch jedem Einzelnen, seine Meinung zu verbreiten und sich am Krieg der Bilder und Meinungen aktiv zu beteiligen. Immer mehr Menschen schreiben Kommentare, in denen sie ihre Sicht der Dinge darstellen, sie laden Videos aus dem Internet herunter und geben sie an Freunde weiter. Auch Redaktion Tamedia wird rege als Plattform genutzt; häufig von Leuten, die unsere Berichterstattung als einseitig kritisieren, auf die eine oder andere Seite.
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