Betretenes Gemurmel
Wer wird am Mittwoch Bundesrat? Das Land bebt, die Zeit steht still. Anmerkungen zu einer überschätzten Show.

Sollten es sich Freisinn und SVP noch einmal überlegen wollen, ob sie die offiziellen Kandidaten der CVP telquel wählen oder nicht, bleiben ihnen dafür nur wenige Tage übrig, um sich auf eine entsprechende Strategie zu verständigen. Bereits am kommenden Mittwoch tritt die Bundesversammlung zusammen und bestimmt die zwei neuen Bundesräte, die Doris Leuthard (CVP) und Johann Schneider-Ammann (FDP) ersetzen sollen. Bislang deutet wenig darauf hin, dass sich irgendwo eine Bewegung bilden könnte zugunsten eines stärkeren, überzeugenderen Christdemokraten, dessen Name nicht auf dem Ticket der Partei steht.
Zwar scheint nach wie vor offen, wer von den beiden offiziellen CVP-Kandidaten sich am Ende durchsetzt – ob Viola Amherd aus dem Wallis oder Heidi Z'graggen aus Uri, doch die Wahrscheinlichkeit, dass am Mittwochmorgen ein wilder, also inoffizieller Kandidat auftaucht und im ersten Wahlgang genug Stimmen macht, um die Verhältnisse durcheinanderzuwirbeln – diese Wahrscheinlichkeit nimmt von Tag zu Tag ab.
Das ist sehr bedauerlich, weil die Kandidatinnen der CVP, zwei wohl durchaus verdiente Frauen, die in den vergangenen Jahren aber wenig aufgefallen sind, inzwischen nicht besser geworden sind. Unverändert wirken sie wie Aspirantinnen ohne zwingenden Grund. Am Dienstag haben SVP, Grüne und Grünliberale die Kandidaten der beiden Bundesratsparteien FDP und CVP angehört.
Während im Fall der FDP mit Karin Keller-Sutter einer der wenigen Stars des Freisinns zur Verfügung steht, will heissen, es gibt so gut wie niemanden, der der St. Gallerin abspricht, eine ausgezeichnete Bundesrätin werden zu können, blieb die Stimmung nach den Auftritten der Christdemokratinnen verhalten. Da und dort ein nettes Wort, hier und da eine kritische Anmerkung, betretenes Gemurmel: Insgesamt erhielt man keineswegs den Eindruck, einer der beiden sei es gelungen, die nötige Dosis von Begeisterung auszulösen. Was man aus den betreffenden Parteien hört, klingt eher ernüchtert denn hingerissen. Zwei Verlegenheitskandidaten haben die Parlamentarier in Verlegenheit versetzt.
Das Ende der Wilden
Dennoch dürfte es Freisinn und SVP am Mut mangeln, diesen Mittwoch für eine Sensation zu sorgen und jemand anderes zu wählen, wie etwa einen der beiden wirklichen Stars der CVP: Gerhard Pfister oder Bundeskanzler Walter Thurnherr, zwei Namen, die schon lange als Favoriten im Bundeshaus kursiert sind, aber beide nicht mehr infrage zu kommen scheinen.
Der Erstere, Pfister, hat sich von den zahllosen, ihm eher übelwollenden Journalisten leider dazu drängen lassen, eine Kandidatur bis zu den nächsten Nationalratswahlen auszuschliessen – was ihn ehrt, wenn man daran denkt, wie viele Politiker mehr an sich selbst als an die Partei denken, was aber mit Blick auf die Zukunft unseres Landes eine Tragödie ist.
Ob Thurnherr sich zum Bundesrat machen liesse, wenn man ihn einfach wählte, ist unergründlich – das weiss nur er selbst. Offiziell hat er ebenfalls abgesagt – was blieb ihm, dem amtierenden Bundeskanzler, auch anderes übrig? Wenn man darauf vertraut, was aus den Fraktionen zu hören ist, ist jedenfalls niemand im Begriff, einen Coup vorzubereiten, an dessen Ende aus dem Bundeskanzler ein Bundesrat werden würde, wobei, das sei zugegeben, es ein merkwürdiger Coup wäre, wenn man davon schon heute in der Zeitung lesen könnte.
Es fehlt an Mut – und es fehlt an Autorität. Sowohl FDP und SVP verfügen derzeit nicht über das Führungspersonal, das imstande wäre, eine solche geheime Aktion zu organisieren. Zu geschwächt sind Präsident und Fraktionschef der SVP, zu unerfahren und unentschlossen bewegt sich die Spitze des Freisinns. Wer einen wilden Kandidaten in der Bundesversammlung durchsetzen möchte, braucht Nerven, Überzeugungskraft und Macht, zumal wenige Stimmen in einer Fraktion reichen, um einen solchen Plan zu hintertreiben. Im Fegefeuer der Eitelkeiten: Selten fühlt sich auch der hinterste Hinterbänkler so bedeutend wie vor einer Bundesratswahl. Warum soll er dies einen Fraktionschef nicht einmal spüren lassen, der ihn so oft übergangen hat?
Schliesslich spricht die gegenwärtige, wenn auch bloss auf kurze Sicht gültige Interessenlage der beiden Parteien gegen jegliche Experimente. Weil die FDP ihren Sitz an zweiter Stelle, nach der CVP, zu verteidigen hat, dürfte sie es nicht wagen, diese Partei vor den Kopf zu stossen. Nichts und niemand soll die scheinbar hundertprozentig sichere Wahl von Keller-Sutter gefährden. Bei der SVP operiert man ähnlich vorsichtig, obschon eher aus psychologischen Gründen. Wenn eine Partei jahrelang hat erdulden müssen, dass ihre offiziellen Kandidaten vom Parlament verschmäht wurden, dann die SVP. Sie ist das gebrannte Kind, das das Feuer scheut.
Erst mit der Wahl von Guy Parmelin vermochte die Partei dieses Trauma zu überwinden, als die anderen Parteien sich endlich an das Ticket der SVP hielten. Will sie diese Art von Satisfaktionsfähigkeit erneut aufs Spiel setzen? Wohl kaum, weil manche in der Partei mit einer künftigen Kandidatur von Magdalena Martullo rechnen und darauf hoffen. Diese im Parlament durchzubringen, dürfte allerdings kein triviales Unterfangen bedeuten. Zu allergisch reagiert der durchschnittliche Schweizer Parlamentarier auf dynastische Ansprüche, insbesondere aus dem Hause Blocher von und zu Rhäzüns.
Aus diesem Grund dürfte sich auch bei der SVP die Lust auf Chaos in Grenzen halten. Mit anderen Worten, uns steht ein unspektakulärer Wahltag bevor, dessen höchste Spannung allein darin liegt, ob wir eine Bundesrätin Amherd aus den Bergen oder eine Bundesrätin Z'graggen aus den Bergen erhalten. Während ein Wunder oder je nach Standpunkt ein Unglück geschehen müsste, dass Keller-Sutter nicht in die Regierung einzieht. Vor acht Jahren hatte man sie übergangen. Manche bedauern das noch heute.
Eidgenössischer High Noon
Wie wichtig aber ist diese Wahl überhaupt? Spielt es denn eine Rolle, wer im Bundesrat sitzt? Gemessen an der periodischen Erregung, die sich vor jeder Bundesratswahl in den Redaktionskonferenzen und den Newsrooms breitzumachen pflegt, könnte man auf den Gedanken kommen, es werde eine Art President of the United Swiss Cantons gewählt. Auf den ersten Blick ist das ja verständlich, dass wir Journalisten aufatmen: Unser politisches System verleitet sonst zur totalen Langeweile, weil es oft um Sachfragen geht, selten aber um Personalentscheide.
Es gehen Vorlagen unter, und es verbrennt Papier – während sich in anderen Ländern menschliche Tragödien zutragen, wenn der eine Regierungschef auf offener Bühne virtuell gemeuchelt wird oder der andere Kandidat schon in einer Vorwahl auf der Strecke bleibt – ohne dass auch nur ein Wähler sich seiner erbarmt. In der Schweiz dagegen wird abgestimmt – und das mit Pflichtgefühl und Entschlossenheit –, doch gewählt wird meistens so nebenbei, aus Mitleid mit den armen Politikern, die sich auf die Liste haben setzen lassen. Im Gegensatz dazu wirken Bundesratswahlen geradezu wie eidgenössische Versionen von High Noon. Man duelliert sich, man stirbt nicht, aber am Ende wird nur einer vereidigt.
Auf den zweiten Blick jedoch erscheint diese Hektik im Vorfeld einer Bundesratswahl als problematisch: Indem Journalisten und Politiker diese Show inszenieren, erwecken sie einen falschen Eindruck. Es war eine kluge Erfindung unserer Verfassungsgeber, den Bundesrat zu einem Kollegium von sieben durchschnittlich Begabten, im Zweifelsfall eher zurückhaltenden, nüchternen Menschen zu machen. Ein Gremium der Charisma-losen als Verfassungsauftrag. Denn wer eine Regierung demokratisch kontrollieren will, tut gut daran, jeden Kult um die Person schon im Ansatz zu vereiteln.
Deshalb haben wir auch einen Bundespräsidenten, der bereits nach einem Jahr sein Amt abgeben muss, kaum hat man ihn auch in Lörrach oder Como kennengelernt. Und deshalb ist es überflüssig, so zu tun, als ob an der Wahl eines neuen Bundesrats die Zukunft des Landes hinge. Tatsächlich wird ein neuer Chef eines Departements gewählt, wo Beamte leben, die schon da waren, als der neue Bundesrat noch in der Gemeindeversammlung die Hand aufstreckte.
Wer, mit anderen Worten, unter der Verwaltung als Mitglied der Landesregierung dienen darf, sollte sich nicht allzu viel darauf einbilden. Und wir Bürger sollten uns nicht aufführen, als ob wir verhinderte Royalisten wären, die sich nach einem Ersatzkönig sehnen, wo es doch nur darum geht, dass der Souverän via Parlament zwei neue leitende Angestellte einstellt.
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