Abfahrt in BormioDie Schweizer brillieren – aber Geschichte schreibt ein anderer
Dominik Paris feiert auf der Stelvio seinen sechsten Abfahrtssieg. Derweil holt Marco Odermatt seinen ersten Podestplatz in der Abfahrt – und Niels Hintermann versöhnt sich mit Bormio.

Als er abschwingt und den Blick auf die Videowand schwenkt, weiss er: Das ist gut – sogar sehr gut. Marco Odermatt ist auf der Stelvio eine spektakuläre Fahrt gelungen. Gleich um acht Zehntel verdrängt er den Führenden Aleksander Kilde von der Spitze und damit aus der Leaderbox. Dem Norweger bleibt nur ein respektvolles Klatschen. Und weil zu diesem Zeitpunkt schon die allermeisten Topfahrer im Ziel sind, darf sich Odermatt durchaus Chancen auf den ersten Abfahrtssieg ausrechnen.
Als er wieder auf die Videowand blickt, sieht er Dominik Paris Richtung Ziel donnern. Wobei die Betonung auf «donnern» liegt. Keiner beherrscht diese eisige und von Schlägen geprägte Piste so gut wie der Südtiroler. Letztlich ist er noch 24 Hundertstel schneller als Odermatt, feiert damit seinen sechsten Abfahrtssieg in Bormio. Vor allem aber schreibt der Mann aus dem Ultental ein Stück Ski-Geschichte: Noch nie konnte ein Abfahrer sechs Mal auf der gleichen Strecke gewinnen. «Es ist gewaltig», meint er. «Diese Piste verlangt dir von oben bis unten viel ab, sie verzeiht kein Pardon. Das macht sie für mich so interessant.»
«Der Flow hilft zweifellos»
Und doch haben die Schweizer nicht ansatzweise Grund zum Hadern. Schliesslich feiert Odermatt seinen ersten Podestplatz in einer Abfahrt. Der Dominator im Riesenslalom – er hat in dieser Saison drei von vier Rennen gewonnen – mischt nun also auch in der Königsdisziplin ganz vorne mit. Wobei er mit seinem 4. Platz in Lake Louise bereits signalisiert hat, dass auch auf den langen Latten mit ihm zu rechnen sein wird. «Der Flow hilft zweifellos», hält er im Interview mit SRF fest. «Du fährst mit Vertrauen, weisst, dass das Material funktioniert.» Er sehe sich durchaus noch als Riesenslalom-Fahrer, meint der Nidwaldner schliesslich lächelnd. «Aber ich nähere mich Schritt für Schritt Richtung Abfahrer.»
Im Gesamtweltcup führt Odermatt nun mit 286 Punkten Vorsprung auf Matthias Mayer. Die beiden können ihr Duell in den nächsten beiden Tagen gleich fortsetzen, da in Bormio zwei Super-Gs stattfinden.
So lässt sich selbst ein Ausfall von Feuz verkraften
Und dann ist da noch die Geschichte von Niels Hintermann, die langsam kitschig wird. Zwei Jahre ist es her, als der Zürcher nach Platz 33 in der Abfahrt von Bormio nahe dran war, den Bettel hinzuschmeissen. Doch Hintermann macht weiter, obwohl er auch in der Folge regelmässig Rückschläge erleidet.
Im Dezember 2021 ist er der stärkste Schweizer Abfahrer. Was mit den Rängen 12 und 7 in Lake Louise respektive Beaver Creek begann, steigert sich nun peu à peu. Wie vor zehn Tagen in Gröden wird Hintermann in Bormio Dritter. Ausgerechnet hier, wo er sich vor Jahresfrist auch noch am Knie verletzte. «Ich bin gut drauf, das habe ich schon in Lake Louise gezeigt», hält er fest. «Aber dass mir nun das in Gröden und Bormio gelingt, ist unglaublich, einfach schön.»
Im Sommer hat Hintermann einiges umgestellt, etwa die Arbeit mit einem neuen Mentaltrainer aufgenommen. Er sei alles anders angegangen, lockerer, erzählt der 26-Jährige. «Es war mir egal, ob ich Bestzeiten fahre. Mir ging es zunächst darum, den richtigen Schwung zu finden und Selbstvertrauen aufzubauen.» Es ist diese neue Lockerheit, die gerade auf solch selektiven Strecken wie Gröden und Bormio Gold wert ist – und die den «neuen» Niels Hintermann auszeichnet.
Dank ihm und Odermatt können die Schweizer den Ausfall von Beat Feuz verkraften. Der Emmentaler rutschte bei der Einfahrt in die Carcentina-Traverse weg, blieb aber unverletzt. Feuz’ letzter «Nuller» datiert übrigens vom Januar 2017 (Out in der Abfahrt von Kitzbühel). In den letzten 36 Abfahrten klassierte er sich stets in den Top Ten. Ebenfalls ausgeschieden ist nach einem Einfädler Urs Kryenbühl. Derweil feiern Gilles Roulin (19.) und Stefan Rogentin (23.) kleine Achtungserfolge.
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