Bundesliga-Sieg in LeipzigBayern mit Radio Müller auf dem Weg zum neunten Titel
Auch ohne Topstar Robert Lewandowski und nach verzögertem Spielstart: Bayern München gewinnt das Topspiel in Leipzig und baut seinen Vorsprung in der Tabelle auf den Verfolger aus.

Thomas Müller sendete unter der Woche wieder einmal auf typische Müller-Art. «Es ist egal, wer die Tore macht», sagte er, «Hauptsache, ich mache zwei.»
Müller ist bekannt in München als Radio Müller oder Radio Pähl, so heisst das Dorf, aus dem er kommt. Er redet halt gern und viel, gerade auch auf dem Platz, darum diese Übernamen. Sie stören ihn nicht, er selbst sagt: «Ich bin schon eher der kommunikative Typ.»
Seit eineinhalb Jahren ist Müller auch leistungsmässig wieder auf Sendung, seit Hansi Flick Trainer ist und Nachfolger jenes Niko Kovac, bei dem Müller untendurch war. Er ist in einem Dauerhoch, und darum kann es nicht überraschen, dass er an diesem Samstag wesentlich zum wegweisenden Sieg des FC Bayern bei RB Leipzig beiträgt.

Es ist das Spitzenspiel der Bundesliga, das Treffen des Zweiten gegen den Ersten und der beiden Gegenentwürfe. Da der Club, der mit der Rückendeckung von Red Bull innert Rekordzeit an die Spitze gestürmt ist und sich dafür nicht nur Freunde gemacht hat. Dort der alteingesessene Club, der seit 50 Jahren in Deutschland das Establishment anführt und der wegen seiner Überlegenheit auch nicht nur geliebt wird.
Leipzig hakt Bundesliga-Titel (fast) ab
«Die Meisterschaft ist für uns nicht sehr wahrscheinlich», sagte der Leipziger Trainer Julian Nagelsmann vor dem Spiel, «aber möglich.» Er sagte es im Wissen, dass seine Mannschaft wegen des Rückstands von vier Punkten auf die Bayern unbedingt gewinnen musste, um sie wirklich noch herausfordern zu können.
Nagelsmann ist dieser Trainer, der selbst im Schnelldurchlauf an die nationale Spitze gestürmt ist. 33 ist er erst, und es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis er bei einem der europäischen Topclubs landen würde. Er sagt: «Natürlich will ich irgendwann ins oberste Regal, weil ich Titel und mich beweisen will.» Keiner unterstellt ihm deshalb Überheblichkeit.
Das kapitale Manko der Leipziger Bullen
An diesem Samstag macht er seine Spieler darauf aufmerksam, dass der FC Bayern 7 seiner 35 Gegentore in der ersten Viertelstunde erhielt. Darum beginnen sie sehr entschlossen, sie haben mehr Ballbesitz. Was ihnen aber fehlt, ist die Durchschlagskraft, sie kommen zu keiner wirklichen Chance.
In der 38. Minute hält der Meister dagegen. Joshua Kimmich spielt einen herrlichen Pass in die Tiefe, da wartet Müller, Radio Pähl löst sich von Tyler Adams und legt den Ball fast von der Grundlinie zurück in den Lauf von Leon Goretzka. Aus zwölf Metern kann Goretzka abziehen, sein Schuss ist so scharf, dass er fast das Tornetz zerreisst. Das ist das 1:0 für die Bayern.
Dass das schon die Entscheidung ist, hat viel mit den «Bullen» aus Leipzig zu tun. Sie kommen wohl überragend aus der Pause und machen Druck auf den Gegner, wie der das selten gewohnt ist. Dani Olmo hat zwei Chancen, Marcel Sabitzer scheitert an Manuel Neuer. Innert einer Viertelstunde geben sie sieben Schüsse ab, das sind mehr als von den Bayern im ganzen Spiel. Sie haben nur ein Problem: Das ist die Qualität im Abschluss. «Sie ist schlechter als beim Gegner», sagt Nagelsmann. Darum rennen seine Spieler vergeblich dem Ausgleich nach.
Auch ohne Lewandowski gut genug
Nach diesem Abend haben sie 31 Tore weniger erzielt als Bayern. Ihre besten sieben Schützen kommen auf 34 Tore, bei Bayern bringt es Robert Lewandowski allein auf 35. Nagelsmann sagt: «Ein Goalgetter täte uns gut.»Lewandowski ist der grosse Abwesende des Spitzenkampfs. Der Weltfussballer hat sich vor einer Woche im polnischen Nationalteam am Knie verletzt. «Wir sind der FC Bayern München», sagt Oliver Kahn, der künftige Vorstandsvorsitzende, «andere müssen in die Bresche springen. Wir sind noch immer gut genug.» Auch das passt zum deutschen Rekordmeister. Das ist dieses Selbstverständnis, diese Unerschütterlichkeit, auch wenn nicht nur Lewandowski fehlt, sondern in der Abwehr sowohl Jérôme Boateng als auch Alphonso Davies.
Eric Maxim Choupo-Moting kommt die Aufgabe zu, Lewandowski im Sturmzentrum zu ersetzen. Eigentlich ist sie unlösbar, weil Lewandowski in der besten Form seines Lebens ist. Allein in den letzten sechs Spielen erzielte er elf Tore. Choupo-Moting macht, was er machen kann, er rennt viel und arbeitet viel. Einmal gelingt ihm gar ein Hackentrick. Alles in allem bleibt seine Leistung bescheiden.
Hansi Flick und die ewige Frage nach der Zukunft
Die Münchner können es verschmerzen, weil sie ganz viel Kampfgeist haben, weil sie Müller haben, Goretzka und eben auch Kimmich. Wenn Lothar Matthäus als Experte von Sky Kimmich zur weltbesten Nummer 6 erhebt, ist nur eines dazu zu sagen: Er hat recht. Bei aller Wucht, die Leipzig zwischendurch entwickelt, verliert einer nie die Übersicht, und das ist Kimmich. Seine Ruhe ist bemerkenswert.
Sieben Punkte haben die Bayern nach diesem Spiel Vorsprung auf Leipzig. Das 1:0 sei ein guter, ein wichtiger Schritt, sagen sie hinterher alle. Sie geben sich alle Mühe, nichts zu verschreien. Dabei bedeutet die Reserve bei nur noch sieben Spielen und ihrer Klasse im Grunde genommen nur eines: dass sie ungebremst auf den nächsten Meistertitel zusteuern.

Acht in Folge gewannen sie seit 2013, immer mit Radio Müller. Dass sie den neunten unbedingt wollen, steht für ihren Ehrgeiz, für ihre offenbar unstillbare Lust, Titel zu gewinnen. Oder wie es Hansi Flick sagt: «Die Mentalität meiner Mannschaft ist hervorragend.»
Eines bleibt sich nach diesem Spiel auch gleich. Flick wird die Frage gestellt, die ihn seit Wochen begleitet: ob er denn nach der EM nicht der Nachfolger von Joachim Löw als Bundestrainer werden wolle. Flick ist zu freundlich, um sich darüber aufzuregen. Er lächelt lieber, als konkret zu antworten, was er über den Sommer hinaus möchte. Bis dahin möchte er nur eines: Titel gewinnen.
Resultate und Rangliste der Bundesliga
Resultate. Samstag: FC Augsburg - Hoffenheim 2:1 (2:0). Borussia Dortmund - Eintracht Frankfurt 1:2 (1:1). Bayer Leverkusen - Schalke 04 2:1 (1:0). VfL Wolfsburg - 1. FC Köln 1:0 (0:0). Mainz 05 - Arminia Bielefeld 1:1 (0:0). RB Leipzig - Bayern München 0:1 (0:1).
Rangliste: 1. Bayern München 27/64. 2. RB Leipzig 27/57. 3. VfL Wolfsburg 27/54. 4. Eintracht Frankfurt 27/50. 5. Borussia Dortmund 27/43. 6. Bayer Leverkusen 27/43. 7. Union Berlin 26/38. 8. SC Freiburg 27/38. 9. Bor. Mönchengladbach 27/37. 10. VfB Stuttgart 26/36. 11. FC Augsburg 27/32. 12. Hoffenheim 27/30. 13. Werder Bremen 26/30. 14. Mainz 05 27/25. 15. Hertha Berlin 26/24. 16. 1. FC Köln 27/23. 17. Arminia Bielefeld 27/23. 18. Schalke 04 27/10.
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