Balkan-Krebse sind ein Ärgernis
An der Tössegg am Rhein leben seltene einheimische Arten. Eingeschleppte «Ausländer» machen ihnen das Leben schwer.
Von Céline Trachsel Teufen – Fressen und gefressen werden – das ist der bittere Alltag der Kriech-, Schwimm- und anderen Unterwasser-tiere im Rhein. Wer nun aber wen frisst, wer sich besonders wohlfühlt, wer neu eingezogen und wer im Gegenzug in seinem Bestand bedroht ist, das untersuchte unlängst eine Gruppe Schweizer und deutscher Forscher an der Tössegg. Seit der Katastrophe von Schweizerhalle bei Pratteln vor 25 Jahren (siehe Kasten) lässt der Bund im Rahmen eines internationalen Gewässerschutzprogramms alle fünf Jahre die Flora und vor allem die Fauna an verschiedenen Stellen im Hochrhein erheben. Die ersten Ergebnisse der jüngsten Untersuchungen im Unterland liegen jetzt vor. Das Team um Gewässerbiologe Peter Rey hat vier neue Arten entdeckt, die vor fünf Jahren noch nicht an der Tössegg lebten. Die Körbchenmuschel aus Asien, die Schwebegarnele und die Donauassel aus Osteuropa sowie der Höckerflohkrebs aus dem Balkan sind eingewandert. Drei von ihnen gefährden die einheimischen Arten vorerst nicht, lediglich der Höckerflohkrebs «pöbelt» herum. «Er ist nicht artig. Seine Fressaktivität ist sehr hoch – besonders einheimische Wirbellose stehen auf seinem Speiseplan», sagt Peter Rey. Aber auch die Körbchenmuschel könnte zu einem Problem werden, nämlich dann, wenn sie sich massenhaft vermehren sollte und zugleich die Wassertemperatur stark ansteigt. Dann könnten viele dieser Muscheln verenden und bald wäre der Flussboden mit «Leichen» übersät. «Faulende Biomasse entzieht dem Wasser Sauerstoff – was wiederum den Fischen nicht gut bekommt.» Darauf werden die Forscher während ihrer nächsten Untersuchungen in den kommenden Jahren besonders achten. Seltene Arten fühlen sich wohl Doch die Wissenschaftler haben auch gute Neuigkeiten: Wo die Töss in den Rhein mündet, fühlen sich offensichtlich in der Schweiz äusserst seltene und bedrohte Arten wohl. Die gefährdete Fischart Nase hat sich zum Beispiel stark vermehrt. Auch die unter Fischern beliebten Barben und Äschen könnten sich in Zukunft mehr und mehr Laichgebiete sichern. «Erstaunlich ist, dass die Tössegg eigentlich noch zum Staubereich des Eglisauer Wehrs gehört, hier aber dennoch viele typische Flussarten leben», sagt Peter Rey. Der Gewässerbiologe führt dies darauf zurück, dass «der Rhein oberhalb Tössegg über weite Strecken naturnah und schützenswert ist und für biologischen Nachschub sorgt». Wegen der wilden Ufer, der natürlichen Unterwasserwelt und dank der Kiesbänke, welche die Töss in den Rhein hinein trägt, funktioniere die Reproduktion gut. Um überhaupt feststellen zu können, was im Rhein so kreucht und schwimmt, ist das Team der Rheinforscher mit hartem Geschütz aufgefahren. Taucher in Vollmontur haben auf dem Flussboden Proben genommen, Männer in Fischerhose fingen mit Netzen Kleintiere ein, und eine andere Gruppe bediente sich der Elektrofischerei. Hierbei hielten sie zwei Pole ins Wasser und liessen Gleichstrom fliessen – automatisch schwammen alle grossen und kleinen Flossen- und Krabbeltiere zum Pluspol. «Das ist die einzige Methode, alle Fische zu erwischen – die Tiere kommen dabei nicht zu Schaden», versichert Peter Rey. Nur eines hätten die Rheinforscher leider nicht gefunden: Gold. Im Chemiekonzern Sandoz im Industriegebiet Schweizerhalle in Pratteln und Muttenz BL brach in der Nacht auf den 1. November 1986 ein Grossbrand aus. In der Lagerhalle 956 standen über 1300 Tonnen Chemikalien in Flammen. 60 Meter schoss das Feuer in den Himmel, Fässer explodierten. Die Rauchwolke und der unerträgliche Gestank waren kilometerweit wahrzunehmen. Eine grosse Menge verseuchten Löschwassers gelangte in den Rhein. Der Fluss färbte sich rot. Die Chemikalien lösten ein grosses Fischsterben aus. Auf einem Abschnitt von über 400 Kilometern verendete die gesamte Population der Aale. Weiter starben Wasservögel, Krebse und jegliche Kleintiere. Der Rhein erholte sich innert Monaten vom Unglück. Seither wird der Fluss regelmässig untersucht. Daher entdeckten Forscher die neue Gefahr, die nun droht: das Einschleppen und Ausbreiten von Arten aus anderen Gebieten (Neozoen). Sie könnten das wiedergewonnene ökologische Gleichgewicht zerstören. (ct) Bildlegende. Foto: Vorname Name (Agentur)
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