«Bäumle ist ein guter Stratege, aber kein Sympathieträger»
Politologe Michael Hermann erklärt, warum viele Bürger die Grünliberalen oder BDP wählen, obwohl sie deren Personal kaum kennen. Und was die Gefahren und Probleme für diese Parteien sind.

Die Grünliberalen und die BDP gewinnen in Wahlen und Umfragen, auch wenn ihre Kandidaten kaum bekannt sind. Warum vertrauen die Bürger diesen Parteien? Es gibt ein starkes Bedürfnis nach frischen Kräften. Vielen Wählern geht es nicht einmal um eine wirklich neue und andere Politik. Sie sind schlicht unzufrieden mit den etablierten Parteien in der Mitte. Es kann sogar ein Vorteil sein, kaum markante Köpfe zu haben. Nach Wahlen zeigt sich immer wieder das Phänomen, dass es schnell zu einem Abnützungsprozess kommt. Wer eben noch glänzte, steht in der Kritik und verliert Zustimmung.Tut eine Partei also momentan gut daran, möglichst viele Personen aufzustellen, die nicht auffallen? Nein. Positive Identifikationsfiguren, wie es Doris Leuthard als CVP-Präsidentin war, können für eine Partei viel bewirken. Die Grünliberalen würden noch mehr Leute erreichen, wenn sie einen charismatischeren Präsidenten hätten. Martin Bäumle ist zwar ein guter Stratege, aber kein Sympathieträger. Deshalb kann die Partei ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen. Bei Regierungswahlen wird die Bekanntheit jedoch oft überschätzt. Das zeigt sich, wenn die SVP mit markanten Persönlichkeiten gegen wenig bekannte und weniger polarisierende Figuren aus der Mitte unterliegt.Wenn es vor allem darum geht, frisch zu wirken: Spielt Japan eine weniger starke Rolle als vermutet? Grünliberale und BDP konnten bereits vor der Katastrophe zulegen. Japan hat ihnen aber zusätzlich Auftrieb gegeben. In der Atomfrage fällt es ihnen leichter als FDP und CVP, unverbraucht zu wirken. Diese galten schon lange als Atombefürworter. Sie können sich nicht plötzlich auf eine glaubwürdige Weise neu aufstellen. Je länger eine Partei an der Macht ist, desto mehr Wähler hat sie schon enttäuscht. Es gibt weltweit keine Partei, die so lange an der Macht ist wie die Schweizer FDP. Sie ist seit 163 Jahren ununterbrochen in der Regierung. Sie war noch nie im Jungbrunnen der Opposition. In der Schweiz verschieben sich die Kräfte nur sehr langsam, aber trotzdem geraten auch hier die etablierten Regierungsparteien unter Druck.Welche Nachteile bestehen für eine Partei, deren Personal weitgehend unerfahren ist? In der Parlamentsarbeit fehlt es solchen Parteien an Erfahrung. Deshalb müssen sie fähig sein, schnell zu lernen. Sie können sich dabei an alten Fraktionen mit vielen erfahrenen Köpfen orientieren. Junge Parteien haben auch den Nachteil, dass sie komische Käuze anziehen, die es anderswo nicht geschafft haben und nochmals eine Chance sehen. Solche Käuze können das Image einer Partei stark beschädigen.Welches Risiko geht der Wähler ein, wenn er eine Partei mit weitgehend unbekanntem Personal wählt? Es ist schwieriger abzuschätzen, wie sich die Gewählten verhalten werden. In Zürich haben vor vier Jahren viele aus dem rot-grünen Milieu die Grünliberalen gewählt. Einige reiben sich jetzt wohl die Augen über den harten bürgerlichen Sparkurs, den die Grünliberalen zum Beispiel in Zürich eingeschlagen haben. Die Wähler dieser neuen Parteien haben noch keine starke Bindung entwickelt. Es ist gut möglich, dass ein Teil bald wieder eine andere Kraft unterstützt.Werden die neuen Parteien also bald wieder verschwinden? Diese Gefahr sehe ich eher bei der BDP. Die Grünliberalen haben sich mit den Begriffen grün und liberal ein ziemlich klares Etikett zugelegt und besetzen eine Nische. Diese wird nicht verschwinden. Es sei denn, die Grünen machten ihnen mit einem Kurswechsel den Platz streitig. Bei der BDP ist es weniger klar, wodurch sie sich unterscheidet. Sie lebt von der Integrationsfigur Widmer-Schlumpf und vom unverbrauchten Image. Es ist nicht auszuschliessen, dass die BDP bald mit der CVP zusammenspannt oder sich eines Tages auflöst.