Die Antwort lautet: Weil die Täter Araber und keine deutschen Nazis sind. Ein deutscher Richter sprach nach diesem Spiegel-Bericht antisemitische Täter frei, wies sogar den Vorwurf des Antisemitismus zurück mit dieser Begründung: «Die Täter hätten nur die Aufmerksamkeit auf den Gazakonflikt lenken wollen.» Ich füge hinzu: Das ist nicht das, was Deutsche gern Einzelfall nennen, sondern die Regel im heutigen Deutschland. Arabischer Antisemitismus wird nicht nur verdeckt, sondern als solcher statistisch gar nicht erfasst, auch strafrechtlich nicht verfolgt. Ich frage provokant: Haben die Deutschen ihren Mord an Juden vergessen?
Angst vor den Deutschen
Als ein muslimischer und in Deutschland lebender Migrant habe ich nicht nur vor totalitären Islamisten Angst, sondern auch vor solchen Deutschen, die auf eine kranke Art und Weise mit ihrer Mördervergangenheit umgehen. In meinem in den Jahren 2007 bis 2010 am Forschungsinstitut des Holocaust-Museums Washington D. C. angefertigten und 2012 von Yale University Press veröffentlichten Buch «Islamism and Islam» erfasse ich sechs Säulen der islamistischen Ideologie, unter denen der islamisierte Antisemitismus besonders herausragt. Ich komme darin zu dem Ergebnis, dass der Islamismus der neue antisemitische Totalitarismus des 21. Jahrhunderts ist. Wie gehen Deutsche mit dieser Gefahr um? Welche Lehren haben sie aus Auschwitz gezogen?
Meine Autorität bei der Beantwortung dieser Frage ist Adorno mit seinem Aufsatz «Erziehung nach Auschwitz». Für Adorno war Auschwitz eine Barbarei, die bleibt: «Diese Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern.» Wodurch dauern sie fort? Adorno meint, die grösste «Gefahr einer Wiederholung» besteht, solange man «der blinden Vormacht aller Kollektive» nicht entgegenarbeitet. Die Juden Berlins werden auch heute nicht nur als Kollektiv definiert, sondern sie haften auch – eben als Kollektiv – für die Taten der in Israel lebenden Juden, die wieder als Kollektiv bestraft werden sollten. Das ist das Narrativ der deutschen Wahrnehmung arabischer antisemitischer Straftaten. Die Bestrafung der Juden erfolgt durch das Kollektiv der arabischen Diaspora-Muslime in Berlin und anderen deutschen Städten. Diese antisemitischen Verbrechen werden als Ausländerkriminalität aufgeführt, nicht als antisemitische Straftaten, die sie in Wirklichkeit sind.
Meine zweite Frage lautet: Wie sühnen Deutsche den Mord an sechs Millionen Juden? Für einen Unbeteiligten, wie ich es bin, ist die Vehemenz der deutschen Willkommenskultur unverständlich, ja nicht einmal nachvollziehbar. Sie veranlasst mich, nach den Ursachen zu fragen. Die Zeit gibt in ihrer Ausgabe vom 28. Januar 2016 mit dem Titelblatt «Sind die Deutschen verrückt oder ist es der Rest der Welt, der keine Flüchtlinge aufnimmt?» folgende Antwort: «Die an ihrer traumatischen Vergangenheit leidenden Deutschen wollen sich von ihrem Makel befreien und haben sich darum in eine völlig irrationale Willkommenskultur gestürzt. Gewissermassen von Auschwitz direkt zum Münchner Hauptbahnhof.» Von September bis Dezember 2015 versammelten sich Tausende vom «Irrsinn der irrationalen Willkommenskultur» befallene Deutsche, um Muslime aus Nahost, Zentralasien und Nordafrika willkommen zu heissen; sie taten dies nicht aus humanitären Gründen, sondern als Sühne für den Mord an sechs Millionen Juden, jedoch ohne zu wissen beziehungsweise wissen zu wollen, dass sie Antisemiten willkommen heissen.
Die Feststellung eines muslimischen Antisemitismus ist kein Vorurteil, sondern das Ergebnis einer Forschung in 22 islamischen Ländern, die ich in den USA veröffentlicht habe. Auf dieser Basis kann ich bestätigen, was die Zeit vom 9. Februar 2017 feststellt: Es gebe einen Anlass, die «Gefahr zum Thema zu machen, die Hunderttausende arabische Flüchtlinge darstellen». Warum? «Weil sie durchweg aus Ländern stammen, in denen der Antisemitismus so selbstverständlich ist wie essen und trinken».