Pouletschenkel fürs Applaudieren
Viele Menschen in Nigeria hoffen vor den Wahlen vor allem, dass die Lage nicht noch schlimmer wird.

Femi Ajose sitzt auf der Tribüne eines Fussballstadions in Lagos und hält einen kleinen Reisigbesen in der Hand, mit dem er durch die Luft wedelt. Er trägt ein gelbes T-Shirt mit dem aufgedruckten Foto von Muhammadu Buhari und hält eine kleine Pappschachtel mit Pouletstücken in der Hand, die das Logo der Präsidentenpartei trägt: ein Besen, der in Nigeria ordentlich auskehren soll. Zwischen den Bissen sagt Ajose: «Der Präsident hat vieles erreicht, die Wirtschaft ist besser geworden, die Sicherheitslage auch, und der Kampf gegen die Korruption kommt voran.» Ajose nimmt noch den letzten Poulethappen in den Mund, spült ihn mit einem Schluck Cola herunter und steht dann auf, um das Stadion zu verlassen. Obwohl Präsident Buhari noch überhaupt nicht geredet hat.

Seit Tagen hatte sich die 20-Millionen-Metropole auf den grossen Wahlkampfauftritt des Präsidenten vorbereitet, den ersten und einzigen vor den Wahlen am 16. Februar. Teile der Stadt wurden für den Lastwagenverkehr gesperrt, damit das Chaos nicht ganz so gross ist wie sonst – obwohl der Präsident mit dem Helikopter einschwebt. Am Morgen waren es vielleicht noch 10000 Menschen gewesen, die im Stadion auf ihn warteten. «Die meisten von uns haben ein Stipendium bekommen», sagt die Frau neben Ajose, die ihren Namen nicht nennen möchte. Zwei Drittel der Besucher bekamen nach ihrer Schätzung Geld, um hier für Buhari zu jubeln und die Besen zu schwingen, ein paar Euro und eine Lunchbox. Nachdem die Schachteln leer gegessen sind, machen sich viele Nigerianer wieder auf den Heimweg. Als der Präsident spricht, sind vielleicht noch 3000 Leute da – eher wenige in einer Stadt, die 20 oder 30 Millionen Einwohner hat.
Freundlich trotz Armut und Grösse
Als «Megarallye» hatte Buhari diesen Höhepunkt des Wahlkampfes angekündigt, der dann genau drei Minuten dauert, so lange spricht beziehungsweise nuschelt er vor sich hin. «Ich danke euch, dass ihr gekommen seid, wir werden die Versprechen einhalten, die wir gegeben haben», sagt Buhari. Müder Applaus, ein müde wirkender Buhari schleppt sich über den roten Teppich davon. Vor vier Jahren hatte das noch ganz anders ausgesehen, da hatte Buhari nach seiner Wahl eine gewisse Euphorie ausgelöst, die Hoffnung, dass er nach der Dauerherrschaft der damaligen Regierungspartei das Land nachhaltig verändern könne. Ein Land mit unglaublichen Ressourcen, alles scheint ein bisschen grösser und lauter als im Rest Afrikas zu sein. Nigeria hat eigentlich alles: Es hat Öl, einen unfassbaren Reichtum an Kultur, es hat Literaturnobelpreisträger und die besten Musiker des Kontinents. Lagos wird im Westen gerne als Moloch beschrieben, als letztlich unregierbar. Es ist aber vor allem eine faszinierende Metropole, mit viel Armut, aber auch mit fantastischen Stränden, kühnen Highways, die auf Betonstelzen über das Meer laufen. Es ist eine Stadt, die trotz ihrer Grösse überhaupt nicht unfreundlich daherkommt.
Gerüchte um den Präsidenten
Aber sie kommt, eben wie das ganze Land, auch nicht wirklich vom Fleck. Im Norden Nigerias wüten die islamistischen Terroristen von Boko Haram. In der Megacity Lagos kann man in den neuen Siedlungen am Wasser besichtigen, wo der Ölreichtum hinfliesst, in grosse Jachten und protzige Hochhäuser. All das wollte Buhari bekämpfen, was nicht mal ansatzweise gelang. Vielleicht konnte er nicht, vielleicht wollte er nicht. Monatelang liess er sich wegen einer mysteriösen Krankheit in London behandeln, danach schlurfte er so träge durch das Land, dass er sich schliesslich öffentlich gegen Gerüchte wehren musste, er sei durch einen Doppelgänger ersetzt worden. Dennoch tritt der 76-Jährige wieder an.
Die Politik ist nur ein Geschäft
«Wäre diese ganze Politik nicht, würde sich doch jeder Mensch auf der Welt wünschen, Nigerianer zu sein», sagt Browne Onuoha. Er ist Politikprofessor an der Universität Lagos und eigentlich seit Monaten im Streik für bessere Gehälter, so wie alle seine Kollegen, die nicht genug verdienen zum Leben. Dass die Wahl daran etwas ändern wird, daran glaubt Onuoha nicht wirklich. «Die beiden grossen Parteien sind gleich, es gibt keine Unterschiede. Es gibt keine Themen, es geht nur um den persönlichen Profit. Politik ist ein Geschäft, in das man investiert, um einen monetären Gewinn zu bekommen.» Amtsinhaber Buhari gilt zwar als integer, als ein Mann mit bescheidenem Lebensstil, seine Umgebung und Partei aber nicht. Es gibt 27 Regierungsagenturen, die Korruption bekämpfen sollen, selbst aber eher Teil des Problems sind. Zwar wurden zwei ehemalige Gouverneure wegen Bestechlichkeit und Diebstahl verurteilt, ansonsten ist die Politik aber ein Selbstbedienungsladen geblieben. Die entscheidende Frage des Wahlkampfes ist nicht, ob es in Zukunft besser werden könnte, bei Buharis ärgstem Konkurrenten Atiku Abubakar besteht eher die Befürchtung, dass die Bereicherung noch massloser werden könnte. Atiku, wie er im Land genannt wird, ist millionenschwer, woher das Geld kommt, ist nicht unbedingt klar; die USA hatten ihn viele Jahre wegen Geldwäschereivorwürfen mit einem Einreiseverbot belegt. «Er sollte im Gefängnis sein und nicht auf der Kandidatenliste», sagt Olanrewaju Suraju, ein führender Korruptionsexperte. Zentrales Thema des Wahlkampfes von Atiku ist das Versprechen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Unter Buhari war Nigeria in eine Rezession gerutscht, die Arbeitslosigkeit stieg von 8 auf 23 Prozent. Wie genau eine Wirtschaftspolitik aussehen könnte, darüber machen beide Kandidaten nur vage Angaben. Bei Buharis Wahlkampfauftritt werden Broschüren aus dickem Papier verteilt, die keinen einzigen Satz zum politischen Programm beinhalten, nur die Fotos der Kandidaten. Auf den letzten Seiten gibt es noch reichlich Raum für «Notizen».
30 Jahre vom Militär regiert
Recht konkret wurde im Wahlkampf zumindest über die Zukunft der Stahlfirma Ajaokuta Steel Company debattiert. Mehr als acht Milliarden Dollar hat der Staat in den vergangenen vier Jahrzehnten in die Firma gesteckt, die ein führender Stahlproduzent werden sollte. Ihre Rentenkasse versorgt bereits 1000 Pensionäre, Stahl wurde bisher nicht produziert. Die ganze Volkswirtschaft ist bisher auf Öl ausgerichtet, das sich wie in anderen Ländern in ähnlicher Situation als schwarzes Gift entpuppt hat.
Im Jahr 1960 wurde Nigeria unabhängig, fast dreissig Jahre wurde es zumeist vom Militär regiert, erst seit 1999 gibt es ein einigermassen stabiles demokratisches System. «Der Kolonialismus hat viel Schaden angerichtet», sagt Politikprofessor Browne Onuoha. Die britischen Eroberer hätten Menschen in Landesgrenzen gepresst, die wenig gemeinsam haben, den eher muslimischen Norden und den christlichen Süden. «Wir sind zu gross, wir haben keine gemeinsamen Werte. Noch mehr Schaden als der Kolonialismus hat allerdings das Militär angerichtet. Jedes Vertrauen wurde zerstört.» Zwar ist die Zeit der Militärregimes seit über zwanzig Jahren vorbei, das politische Personal ist aber weitgehend das gleiche geblieben. Buhari selbst hatte als General einen Putsch angeführt und machte danach eben als eine Art Demokrat weiter. Bei einem seiner Wahlkampfauftritte in Port Harcourt starben am Dienstag mindestens 14 Menschen. Die Menschen wollten ins Freie, aber der Ausgang war verschlossen.
Im Stadion in Lagos blieb es hingegen friedlich. Als Buhari ins Auto steigt und den wenigen zuwinkt, die noch da sind, ist das für viele ein Signal, sich möglichst alles unter den Nagel zu reissen, was beweglich ist. Alte Männer raffen die Besen zusammen, die Jungen klettern auf die Tribüne, um dort die Plastikbanner herunterzuholen. Was man mit dem Zeug anfangen kann, was es wert ist, das ist egal. Es geht darum, für den Moment überhaupt etwas zu besitzen.
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