Terrorist Carlos eröffnet Berufungsprozess mit juristischem Schachzug
Vier Bombenanschläge in den 80er Jahren: In Paris hat das Berufungsverfahren gegen den Terroristen «Carlos» begonnen. Zum Prozessauftakt sorgte der Venezolaner gleich für eine Überraschung.
Mit einer handfesten Überraschung hat in Paris der Berufungsprozess gegen den Terroristen Carlos begonnen. Der 63-jährige Venezolaner lehnte es am Montag vor einem Sondergericht in der französischen Hauptstadt ab, sich von seinen Anwälten verteidigen zu lassen. Wegen vier Anschlägen in Frankreich mit elf Toten und etwa 150 Verletzten war «Carlos» 2011 zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Ein Meister der Selbstinszenierung war Carlos schon immer. Genüsslich brachte sich der einst weltweit gefürchtete Terrorist nun auch zum Auftakt seines Berufungsprozesses in Paris zur Geltung: «Ich habe überhaupt keine Absicht, den Prozess zu sabotieren», heuchelte der 63-Jährige Interesse an einem ordnungsgemässen Gerichtsverfahren. Tatsächlich bediente er sich aber überraschend eines Verfahrenstricks: Carlos verbot seinen Anwälten, in den Gerichtssaal zu kommen, und forderte stattdessen Pflichtverteidiger an – den Prozess brachte er damit gleich durcheinander.
Wie schon im ersten Verfahren im Jahr 2011 war Carlos auch diesmal im eleganten Anzug und mit Halstuch vor dem Sondergericht für Terrorismus erschienen. Wortgewandt verkündete der Venezolaner, der eigentlich Ilich Ramírez Sánchez heisst, auf Französisch: «Ich habe meinen Anwälten verboten, zu meiner Verteidigung zu kommen.» Grund sei die «Sabotage» seiner Verteidigung durch sein Heimatland Venezuela, das seit dem Tod des linksgerichteten Präsidenten Hugo Chávez nicht mehr für seine Anwaltkosten aufkommen will.
Der «Berufsrevolutionär» als Symbol des internationalen Terrorismus
Sollten nun Pflichtverteidiger die Aufgabe übernehmen, so müssten sich diese über Nacht in ein hochkomplexes Dossier einarbeiten, das dutzende Aktenordner füllt und 30 Jahre zurückreicht: Es geht um vier Anschläge in Frankreich in den Jahren 1982 und 1983, bei denen elf Menschen getötet und 150 weitere verletzt worden waren. In erster Instanz war «Carlos» deshalb 2011 zu lebenslanger Haft mit 18-jähriger Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Das Gericht stützte sich auch auf Akten der DDR-Staatssicherheit. «Carlos» war daraufhin in Berufung gegangen.
Dem Gericht muss der selbsternannte «Berufsrevolutionär», der sein Image als einstige Symbolfigur des internationalen Terrorismus gerne pflegt, ohne seine Mitangeklagten Rede und Antwort stehen. Wie schon in erster Instanz bleibt auch im Berufungsverfahren die Deutsche Christa Fröhlich dem Prozess fern. Die 70-Jährige, die in Deutschland wohnt, war 2011 freigesprochen worden. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt. Zu lebenslanger Haft waren hingegen in erster Instanz der Deutsche Johannes Weinrich, der in Berlin im Gefängnis sitzt, und ein untergetauchter Palästinenser verurteilt worden.
Mögliche Verschiebung des Prozesses
«Carlos» schien es beim Prozessauftakt keineswegs zu irritierten, dass er im Gerichtssaal auf sich allein gestellt war - ohne seine einstigen Mitstreiter und ohne seine Anwälte. Fröhlich verkündete er, seine Pflichtverteidiger würden zwar sein Dossier nicht kennen. «Aber ich kenne es, das wird die Verteidigung ein bisschen schwächen, aber wir werden das schon schaffen.» Als angekündigt wurde, dass zwei junge Pflichtverteidiger antreten könnten, witzelte er: «Eine Blonde, eine Braunhaarige?»
Die Richter schien der Schachzug von «Carlos» eher aus dem Konzept zu bringen. Das Sondergericht zog sich erst einmal zurück, um mit der Anwaltskammer zu beraten. Denn die Pflichtverteidiger müssen den Fall nicht übernehmen, sie können auch ablehnen. Dann müsste der Prozess womöglich verschoben werden.
Kein Terrorist, sondern Freiheitskämpfer
Dass «Carlos» sich auch sehr gut selbst verteidigen kann und nicht einmal Pflichtverteidiger dazu bräuchte, hatte er bereits im ersten Verfahren 2011 unter Beweis gestellt. So hielt er noch kurz vor der Urteilsverkündung einen fünfstündigen Monolog, mit erhobener Faust rief er im Gerichtssaal: «Es lebe die Revolution!» Zuvor hatte er sich in einem Interview gebrüstet, er sei für rund hundert Anschläge mit «zwischen 1500 und 2000 Toten» verantwortlich.
Als Terrorist sah sich der Venezolaner, dem auch der Überfall auf die OPEC-Zentrale in Wien 1975 angelastet wird, allerdings nie – vielmehr als Freiheitskämpfer. Als der Vorsitzende Richter in Paris den Angeklagten nun zum Prozessauftakt nach seinem Beruf fragte, antwortete der fast beleidigt: «Sie wissen ganz genau, dass ich Berufsrevolutionär bin!»
In dem Prozess geht es um vier Anschläge in den Jahren 1982 und 1983, mit denen «Carlos» seine damalige deutsche Ehefrau Magdalena Kopp und einen Komplizen aus französischer Haft freipressen wollte. Die erste Bombe, die fünf Menschen tötete, explodierte im Zug Paris-Toulouse. Es folgten Anschläge auf das Büro der arabischen Zeitung «Al Watan», den Bahnhof von Marseille und einen TGV-Schnellzug. «Carlos» sitzt seit 1994 in Frankreich in Haft. 1997 wurde er bereits wegen der Ermordung zweier französischer Geheimdienstmitarbeiter und eines V-Mannes zu lebenslanger Haft verurteilt.
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