«Der Wahnsinn bekommt Struktur»
Der badische CDU-Politiker Armin Schuster über die AfD, Asylpolitik und Angela Merkel.

BaZ: Herr Schuster, der Wahlkampf ist in seiner Schlussphase – nur von Hitzigkeit ist nichts zu spüren. Beruhigt Sie das?
Armin Schuster: Ja und nein. Die Menschen in Deutschland mögen eigentlich keinen Streit, das wird dann an der Wahlurne auch gerne mal abgestraft. So prägen die Wähler ihre Politiker, wie sich das in einer Demokratie ja auch gehört. Das alles weiss natürlich auch die Kanzlerin. Und trotzdem sind Konfrontation und ein gewisser Spektakelfaktor immer wieder mal wichtig – vor allem bei Journalisten auch erwünscht. Die Dosierung machts, regionalpolitisch setze ich deshalb überhaupt nicht auf Konfrontation und versuche lieber überparteiliche Koalitionen zu organisieren.
Deutschland geht es doch auch zu gut, um sich wirklich zu streiten.
Wir leben in einem goldenen Jahrzehnt, das auch die CDU als Regierungspartei mitgestaltet hat.
Nicht alles ist Regierungsleistung – ein schwacher Euro treibt die deutsche Wirtschaft massgeblich an.
Das ist sicher richtig. Lob ist aber nun mal nicht die gängige Währung für die Politik. Manchmal müssen wir das auch selber tun. Ganz unbeteiligt sind wir an dem Erfolg Deutschlands jedenfalls nicht, etwa wenn wir die Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitsreformen oder den Weg zur Nullverschuldung betrachten. Allerdings ist Vorsicht geboten: Erfolg macht träge. Das ist auch für Politiker gefährlich. Deshalb wünsche ich mir eine neue Koalition. Das ist für Deutschland wichtig. Wir sehen, wie die Grosse Koalition die kleinen Parteien stärkt. Gleichzeitig wünsche ich mir für meine eigene Partei ein bisschen frischen Wind, der durch die Flure fegt. Und sollte es für ein Zweier-Bündnis nicht reichen, dann ist auch eine Jamaika-Koalition mit den Grünen und der FDP eine Option, selbst wenn das sehr herausfordernd werden dürfte.
Wenige Tage vor der Bundestagswahl sitzt die SPD, bisheriger Partner in der Grossen Koalition, im Keller und die Mehrheit der Wähler hat bereits entschieden. Was macht die SPD falsch?
Die SPD hat von dem zu wenig, was wir vielleicht sogar zu viel haben.
Was meinen Sie?
Lust am Regieren. Wenn du in der Regierung sein willst, brauchst du eine geordnete Mannschaftsaufstellung, eine Strategie und ein geübtes Passspiel. Das ist unsere Stärke. Dafür wird bei uns weniger debattiert, wie man während der Flüchtlingskrise gesehen hat. Da haben wir sehr kontrovers diskutiert und man konnte sehen, dass das nicht sonderlich geübt war. Die SPD hat in erster Linie Lust zu diskutieren und parteiinterne Flügelkämpfe zu veranstalten. Jeder Vizekanzler der SPD hat so grosse Probleme, eine Linie durchzuhalten. Ich schätze Sigmar Gabriel wahrscheinlich mehr als mancher SPD-Politiker im Bundestag. Auch bei einem meiner zentralen politischen Themen, der Flüchtlingspolitik, hat die SPD als Regierungspartei weitgehend versagt.
Können Sie Beispiele nennen?
Sie ist bei allem oft zu spät dran. Nehmen wir nur die Einstufung des Westbalkans als sichere Herkunftsregion. Über Monate wurde das Thema bewusst verzögert. Das hätte ein Sigmar Gabriel allein so nicht gemacht, aber die Partei ist nicht mitgezogen und so kamen Hunderttausende unberechtigt ins Land.
Warum wurde das verzögert?
Weil die SPD kurzfristige Stimmungen in ihrer Anhängerschaft wichtiger nimmt als die Regierungsverantwortung für das ganze Land. In der CDU müssen wir manchmal auch Fäuste in den Taschen machen, wenn die Kanzlerin eine Linie für richtig hält, aber wir tragen das aus Staatsräson dann mit.
Auch die CDU wird an diesem Sonntag Stimmen verlieren und die Alternative für Deutschland, kurz AfD, steht vor dem Einzug in den Bundestag. Wie oft wurde Ihnen an den Haustüren in Ihrem Wahlkreis Lörrach-Müllheim gesagt, dass man AfD wählen werde?
Die Leute geben heute eher zu, dass sie AfD wählen. Wenn es nicht offen ausgesprochen wird, so wird es doch durch die Blume gesagt. Das Wählerpotenzial der AfD geht durch alle sozialen Schichten bis in intellektuelle Kreise und in die Unternehmerschaft. Meine Erfahrungen aus dem Haustürwahlkampf sind aber, dass es sich oft um reine Protestkreuze handelt, was auch für eine Übergangserscheinung sprechen könnte. Entsetzt bin ich darüber, dass viele nicht bemerken, welche Folgen ihr Protest haben wird. Demnächst sitzen Rechtsextreme im Bundestag, die schnell aus dem Euro aussteigen wollen. Der Wahnsinn bekommt leider Struktur.
Der Protest ist Programm.
Bei der AfD existiert kein Programm. Schon gar nicht ist der Slogan «Grenzen schützen» ein Programm, diese Oberflächlichkeit beleidigt jeden Experten.
Sie sind selbst ehemaliger Bundespolizist.
Gerade deshalb sage ich das. Grenzen einfach zu schliessen, war, ist und kann nicht unser Weg sein. Ich hatte bei meiner damaligen Kritik am Kurs der Regierung durchaus einen überlegteren Plan, wie man konsequenter Grenzsicherung betreibt, ohne dabei echten Schutzbedürftigen die kalte Schulter zu zeigen. Schon die Forderung nach konsequenter Grenzüberwachung reichte seinerzeit allerdings für die polarisierend verkürzte Aussage: «Der Schuster baut Mauern mit Stacheldraht und Schiessbefehl.» Ich habe in dieser Zeit intensiv darüber nachgedacht, ob ich noch mal für den Bundestag kandidieren soll.
2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, haben Sie die Kanzlerin kritisiert, weil diese sagte, die deutsche Grenze könne nicht gesichert werden. Was ist konkret passiert?
In dieser Zeit war Deutschland bei der Flüchtlingsaufnahme auf dem Höhepunkt, unbedingte Willkommenskultur war das Gebot der Stunde. In den Augen der Öffentlichkeit hast du entweder ein Refugees-Welcome-Schild getragen oder warst als Politiker auf der Seite, die laut über Mauern und Abschottung nachgedacht hat. Allein meine Aussage, dass Deutschland sehr wohl seine Grenzen sichern könnte, reichte schon aus, um nicht auf der Seite der Guten zu stehen.
Ihre Geschichte lief auf eine Konfrontation mit der Kanzlerin hinaus.
Nur vordergründig. Ich hatte auch in meiner Fraktion, auf einem Bundesparteitag oder in der Öffentlichkeit damals keine Zustimmung für meine Haltung. Für mich war in dem Moment das Wichtigste, das Signal zu setzen, wir können unsere Grenzen sichern, und das bedeutet, nur diejenigen einreisen zu lassen, die Asylgründe tatsächlich vorweisen können. Unter einer christlichen Politik verstehe ich, Menschen zu helfen, die vor persönlicher Verfolgung und Krieg in ihrer Heimat fliehen. Unchristlich wäre es, einfach alle aufzunehmen, die sich in Deutschland ein besseres Leben erhoffen. Das mündet in Überforderung und zerstört damit die gesellschaftliche Akzeptanz unserer Asylpolitik. Ich erinnere daran, dass zu diesem Zeitpunkt Hunderttausende Asylbewerber aus dem Westbalkan zu uns kamen.
Jemand hat über Sie geschrieben, dass Sie als Parlamentarier aus der zweiten Reihe die Machtprobe gewagt haben.
Ich war bis dahin als Abgeordneter in Berlin ein unbeschriebenes Blatt und wohl eher in der dritten statt der zweiten Reihe. In den Medien wurde die Debatte dann auf die Schlagzeile verkürzt: «Der Rebell gegen die Kanzlerin». Tatsächlich stand ich mit meiner Meinung gegen viele. Nur, da, wo man mich politisch hingepackt hat, wollte ich nicht sein. Heute sind die Positionen weitgehend angenähert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Durchhaltewillen auch in einer Partei letztlich auszahlt. Heute machen wir Grenzkontrollen in Bayern, und in der CDU sind beispielsweise die Transitzentren nach Schweizer Vorbild längst Programm, leider verweigert sich die SPD hier hartnäckig. Wir haben viel mehr Konsequenz und Ordnung in den Asylabläufen. Wer auf die heutigen Flüchtlingszahlen blickt, sieht zudem, dass sich das Niveau wieder normalisiert hat. Viele, die AfD wählen wollen, spüren deshalb allenfalls noch einen Phantomschmerz aus den Jahren 2015 und 2016.
Welche Diskussionen werden nach der Bundestagswahl wieder an Fahrt aufnehmen?
Die aussenpolitischen Themen, die Flüchtlingsthematik, die Rolle der EU, die Situation in Afrika. Klare Entscheidungen zu einem konsequenten Umgang mit der Asylthematik werden dann leichter zu fällen sein als in Wahlkampfzeiten, in denen hier eher Zurückhaltung geübt wurde. Zurück auf die Tagesordnung müssen die mit unseren Mitbewerbern schwierig zu lösenden Themen wie Transitzentren, die Einstufung Nordafrikas zu sicheren Herkunftsstaaten, die weitere Aussetzung des Familiennachzugs oder Abschiebungen wie nach Afghanistan. Ich finde es arrogant, dass deutsche Politiker links von uns die Hybris haben und an Millionen von Afghanen, die ihr Land unter schwierigsten Bedingungen wieder aufbauen, die Botschaft senden, bei euch kann man nicht leben. Da schicken wir besser keinen hin, ausser deutsche Beamte und Soldaten.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch