In dieser Woche veröffentlichte der britische «Guardian» ein geheimes Gerichtsdokument vom April, mit dem die Regierung autorisiert wurde, alle Telefondaten des Anbieters Verizon zu sammeln – das sind geschätzte drei Milliarden Anrufe pro Tag. Zwar wurde zumindest in diesem Fall niemand abgehört, aber die Regierung erhielt die Nummern aller ausgehenden und eingehenden Anrufe. Ein Programm, das die Regierung als eng begrenzt beschrieben hatte, erweist sich nun plötzlich als gigantisch gross.
Ist das nun alles?
Nein. Einen Tag nach der Veröffentlichung des Gerichtsdokuments berichteten der «Guardian» und die «Washington Post» über geheime Auszüge einer Power-Point-Präsentation, die auf ein weiteres Überwachungsprogramm hindeuten, diesmal im Internet. Im Gegensatz zur Sammlung von Telefondaten war auf dieses in der Öffentlichkeit nicht hingewiesen worden. Das Programm mit dem Codenamen Prism ermöglichte der NSA und dem FBI direkten Zugriff auf Daten der grossen US-Internet-Konzerne, darunter Google, Apple, Microsoft, Facebook und AOL. Ein Richter hatte Prism mit einem geheimen Beschluss genehmigt. Prism erlaubte den Behörden, Kommunikation im Internet mitzuverfolgen, über E-Mails, Video-Chats, Instant Messaging und mehr.
Wie funktioniert das?
Über Prism ist noch wenig bekannt. Die Power-Point-Folien scheinen aus einer internen NSA-Präsentation zu stammen, in dem Prism und seine Vorteile Analysten erklärt werden. Sie gehen nicht auf technische Einzelheiten ein und lassen viele Fragen offen. Allerdings ist klar, dass die NSA Daten direkt von den Internet-Konzernen erhielt. Die Informationen variieren je nach Unternehmen und umfassen E-Mails und ihre Anhänge, Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sogar Familienfotos.
Was machen die Behörden mit den Informationen?
Das geht aus den Dokumenten nicht eindeutig hervor. Aber genau wie mit den Telefondaten scheint die NSA eine Datenbank von grossen Teilen des Internet-Verkehrs anzulegen. Die an Prism beteiligten Konzerne produzieren jeden Tag gewaltige Datenmengen, deren Speicherung eine entsprechende Computerleistung erfordert. Experten vermuten, dass die NSA aus diesem Grund ein fast 100'000 Quadratmeter umfassendes Datenzentrum in der Nähe von Salt Lake City im US-Staat Utah baut. Der Bau soll rund zwei Milliarden Dollar kosten. Hinzu kommen jährliche Stromkosten von 40 Millionen Dollar für die Supercomputer. Das Fachmagazin «Wired» berichtete im vergangenen Jahr, in dem Datenzentrum könnten so viele Informationen verarbeitet werden, dass die Speicherkapazität mit einem Yottabyte angegeben wird – das entspricht 200 Billionen DVDs. Das sind mehr Informationen, als innerhalb eines Jahres im gesamten Internet anfallen.
Obama hat gesagt, dass das Programm nicht auf Amerikaner abzielt. Stimmt das?
Das ist wahr, denn die NSA-Analysten sollen sich auf Nichtamerikaner ausserhalb der USA konzentrieren. Aber Prism spült gewaltige Datenmengen von Nutzern aus der ganzen Welt in die NSA-Computer. Viele der Informationen kommen von amerikanischen Staatsbürgern und liegen dann auf den NSA-Servern. Solange diese Informationen niemand liest, zielt das Programm im Wortsinn nicht auf Amerikaner ab.