Ausbildungsprojekt für junge Tunesier floppt
Jährlich könnten 150 Nordafrikaner in der Schweiz ein Praktikum absolvieren – bislang kamen gerade einmal 25.

Im Interview mit der BaZ forderte der Psychologe Allan Guggenbühl unlängst ein Umdenken in der Asylpolitik. Der Experte für Jugendgewalt arbeitet seit zehn Jahren auch mit unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern und sagt, viele von ihnen seien keine Flüchtlinge, wie wir uns dies vorstellten. Sie kämen zwar aus Ländern mit grossen wirtschaftlichen Problemen und problematischen Regimes, seien jedoch oft nicht verfolgt. Nach Europa kämen sie, weil sie eine Perspektive im Leben suchten. Deshalb sollten Länder wie die Schweiz ihnen unter gewissen Bedingungen Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten gewähren.
Eine Idee, für die sich SP-Nationalrat Cédric Wermuth (AG) erwärmen kann, zumal das Asylrecht der Realität nicht mehr gerecht werde. Viele der Menschen, die nach Europa kämen, würden ihre Länder aufgrund der dortigen wirtschaftlichen Misere verlassen. Sie seien nicht persönlich verfolgt und damit keine Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention. Europa und die Schweiz müssten hier Lösungen finden. Dazu gehören für Wermuth Ausbildungsprogramme, wie sie die Schweiz bereits im Rahmen der Migrationspartnerschaft mit Tunesien habe.
Schweizer sind nicht interessiert
Das Programm besteht seit 2014. Es ist Teil eines Abkommens, das Justizministerin Simonetta Sommaruga 2012 mit Tunesien unterzeichnete, damit das Land die Wirtschaftsmigranten zurücknahm, die während des Arabischen Frühlings in der Schweiz Asylgesuche gestellt hatten. Im Gegenzug sollten jährlich bis zu 150 junge tunesische Berufsleute während 18 Monaten in der Schweiz ein Praktikum absolvieren können. Umgekehrt können auch junge Schweizer Praktika in Tunesien absolvieren.
In der Praxis funktioniert das Ausbildungsprogramm allerdings mehr schlecht als recht. Laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) haben bis heute gerade einmal 25 junge Tunesier daran teilgenommen. Bei den jungen Schweizern fand die Idee eines Praktikums in Nordafrika überhaupt keinen Anklang. Dass bislang so wenige Tunesier in die Schweiz kamen, begründet ein Sprecher des SEM mit den Schwierigkeiten, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu finden.
Dass das einst viel gepriesene Projekt nun vor sich hindümpelt, überrascht Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV) und FDP-Nationalrat, nicht. «Es macht wenig Sinn, die Leute in der Schweiz an modernsten Maschinen auszubilden, die ihnen dann in Tunesien nicht zur Verfügung stehen.» Zudem sei es für die Unternehmen uninteressant, Leute auszubilden, die danach die Schweiz verlassen müssten. Deshalb wäre es für den SGV-Direktor zielführender, wenn man die Projektgelder in Bildungsangebote in Tunesien investieren würde. Diese Kritik ist nicht neu. Schon 2012 übte die Wirtschaftsdachorganisation, die 250 Verbände und gegen 300 000 Unternehmen vertritt, Kritik an Sommarugas Vorhaben das Rückübernahmeabkommen mit Tunesien mit beruflicher Ausbildung zu verknüpfen. Dies habe man Sonderbotschafter Eduard Gnesa, der damals das Abkommen mit Tunesien aushandelte, mitgeteilt, erinnert sich Bigler. Allerdings sei dies ohne Konsequenzen geblieben.
Bereits Calmy-Rey scheiterte
Bedauerlich sei auch, so Bigler weiter, dass man in Sommarugas Departement keine Lehren aus der Vergangenheit ziehe. Die Idee einer Flüchtlingslehre scheiterte schon einmal. Damals war es SP-Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, die ein entsprechendes Programm aufgleisen wollte – gegen den erklärten Widerstand der Wirtschaft.
Dabei wolle man durchaus Hand bieten, sagt Bigler. So sei die Wirtschaft daran interessiert, jene Flüchtlinge zu integrieren, die ein Bleiberecht in der Schweiz hätten. Dafür wäre es nötig, die Fähigkeiten und die Vorbildung dieser Leute besser abzuklären, um sie dann gezielt ausbilden zu können. Ein Angebot, das der Bund bis heute nicht nutze. «Offenbar will man nicht von unserer Erfahrung profitieren.»
Damit das Ausbildungsprojekt für junge Tunesier doch noch in die Gänge kommt, macht der Bund die Rechnung nun ohne die Wirtschaft. Wie das SEM auf Anfrage erklärt, setzt man bei der Suche nach Ausbildungsplätzen lieber auf die Unterstützung der tunesischen Diaspora in der Schweiz.
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