Suche nach Ursache von HauseinsturzAugenzeuginnen, Statiker und Berichte – was geschah in Miami?
Ein Video zeigt, wie nur Minuten vor dem Einsturz Wasser in die Garage lief. Derweil versuchen Experten, zu erklären, wie es zur Katastrophe bei den Champlain Towers kam.

Mehr als eine Woche nach dem Teileinsturz eines zwölfstöckigen Wohnhauses in Surfside, Miami, ist die Ursache für das Unglück weiterhin ein Rätsel. Anhand von Videos, Zeugenaussagen und Inspektionsberichten haben verschiedene Experten und Statiker jedoch Theorien dazu aufgestellt, wie und weshalb der Gebäudekomplex in sich zusammengefallen ist.
Dabei erhärtet sich der Verdacht, dass der Einsturz der Champlain Towers South im unteren Bereich des Wohngebäudes begann. Eine Anwohnerin, die ihre Wohnung noch vor dem Unglück verlassen konnte, sagte gegenüber der «Washington Post», dass sie Minuten vor dem Einsturz des Komplexes gesehen habe, dass ein Teil des Pooldecks und des ebenerdigen Parkplatzes in die darunter liegende Tiefgarage gestürzt war.
Einsturz begann vermutlich in der Nähe des Fundaments
Auch der Ehemann einer anderen Bewohnerin sagte gegenüber dem «Miami Herald», dass seine Frau, die seit der Katastrophe vermisst wird, ihm Minuten vor dem Einsturz in einem verzweifelten Telefonat eine ähnliche Beobachtung geschildert habe. Sie habe gesagt, dass das Gebäude wackle und dass sich dort, wo früher das Pooldeck war, ein Erdloch aufgetan habe. Dann war die Leitung tot.
«Es besteht die Möglichkeit, dass ein Teil des Poolbereichs zuerst herunterkam und dann die Mitte des Gebäudes mit sich zog, was dann zum Einsturz führte», sagte Allyn E. Kilsheimer, ein Ingenieur, der von der Stadt Surfside beauftragt wurde, den Einsturz zu untersuchen, zur «Washington Post». Andere Experten und Statiker bezweifeln jedoch, dass bloss der Einsturz im Poolbereich die Gesamtintegrität des Gebäudes am Strand gefährden konnte.
Bei einem Punkt ist sich jedoch die Mehrheit der Experten einig: Der Einsturz begann vermutlich in der Nähe des Fundaments des 1981 errichteten Gebäudekomplexes. In einem Überwachungsvideo, das den Einsturz der 12-stöckigen Stahlbetonkonstruktion zeigt, ist laut Experten zu sehen, dass das Äussere der oberen Stockwerke intakt ist, als das Haus in sich zusammenstürzt. Somit könne es sich um ein Versagen in den untersten Etagen des Gebäudes oder in der darunter liegenden Parkgarage handeln.
Ein Tiktok-Video, das laut «ABC 7» wenige Tage nach dem Einsturz gepostet wurde, zeigt, was sich Minuten vor dem Unglück in der Tiefgarage auf der Nordseite der Champlain Towers South abspielte. Wasser strömt von der Decke, riesige Betonbrocken liegen auf dem Boden. «Der Keller ist als Erstes eingestürzt!», heisst es im Video, das eine Touristin aufgenommen hatte. Nur sieben Minuten später fiel das Wohngebäude in sich zusammen.
Beschädigte Betonplatten entdeckt
Doch worauf ist ein solches Versagen im unteren Bereich des Gebäudes zurückzuführen? Ein kürzlich veröffentlichter Inspektionsbericht aus dem Jahr 2018 zeigt, dass ein Experte einer externen Firma gleich mehrere Mängel am Gebäudekomplex entdeckt hat – darunter auch «grössere strukturelle Mängel» am Beton des Gebäudes und im Bereich des Pooldecks und der Garage.
Dies betraf auch den Teil der Tiefgarage, der im Tiktok-Video zu sehen ist. Der Ingenieur hatte hier einen grossen Schaden an der darüber liegenden Betonplatte festgestellt. Laut dem Bericht wurde dieser durch einen Konstruktionsfehler verursacht, der dazu führte, dass die Abdichtung auf dem Pooldeck versagte, wodurch Wasser in den Beton eindrang. Dies habe wiederum zu einer Korrosion der darin eingelegten Stahlstäbe geführt. Das Ausmass der Schäden war jedoch unklar.
Einer ähnlichen Theorie pflichtet laut «New York Times» auch Dawn E. Lehman, Professorin für Bauingenieurwesen an der University of Washington, bei, welche Fotos der Trümmer analysiert hat. So seien vor allem die übrig gebliebenen, aber beschädigten vertikalen Stützen zwischen der Tiefgarage und dem nun eingesunkenen ebenerdigen Parkplatz sehr aufschlussreich.

Laut Lehman sind am Bewehrungsstahl, der aus den beschädigten Stützen baumelt und einst mit Betonplatten verbunden war, keinerlei Betonüberreste zu sehen. Dies deute darauf hin, dass der Beton an einigen Stellen beschädigt war und der Stahl möglicherweise nicht ausreichend daran haften konnte. Ein solcher Mangel könne mehrere Erklärungen haben, sagte Lehman, einschliesslich Korrosion, Betonverfall, Verformung am Beton oder die Verwendung von Bewehrungsstahl mit schwächeren Bindungseigenschaften.
Experten vermuten Konstruktionsfehler
Auch Ingenieur Kit Miyamoto vermutet, dass sich die Stützen von den Betonplatten lösten und sich aufgrund des Gewichts von oben sozusagen «durchstanzten», einen Dominoeffekt auslösten und das Gebäude sukzessive zum Einsturz brachten. Bei der Analyse der Stützen ist Experten gemäss «New York Times» zudem ein möglicher Fehler in der Konstruktion des Gebäudes aufgefallen: So wurde offenbar an kritischen Stellen in der Nähe des Fundaments weniger Bewehrungsstahl verwendet, als in den ursprünglichen Konstruktionszeichnungen des Bauprojekts vorgesehen war.
Der Untersuchungsbeauftragte Kilsheimer bestätigte, dass es Anzeichen dafür gebe, dass weniger Stahl als ursprünglich geplant verwendet worden sei, um die Betonplatten unter dem Parkdeck mit den vertikalen Stützen des Gebäudes zu verbinden. Es seien jedoch weitere Analysen und eine Computermodellierung erforderlich, um zu beurteilen, ob dies ein Faktor beim Einsturz gewesen sei. Kilsheimer betonte zudem, dass es im Bauwesen durchaus üblich sei, dass das Endprodukt von den gezeichneten Entwürfen abweiche.
Andere Ingenieure vermuten derweil, dass es keine einzelne Ursache für den Einsturz gibt, sondern dass eine Kombination mehrerer Faktoren die Integrität des Gebäudes beeinträchtigt haben könnte. So könnten die nahe gelegenen Bauarbeiten, die schweren Baugeräte, die auf dem Dach der Champlain Towers deponiert waren, sowie Wasserschäden und die Exposition gegenüber korrosivem Salz im Meerwasser und in der Luft zum Unglück geführt haben.
Bevorstehende Millionensanierung
Eine weitere Ursache für die Katastrophe, die nicht auszuschliessen ist: dass sich die Erde unter dem Fundament des Gebäudes über Jahre hinweg senkte und das Haus zum Einsturz brachte. Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie der Florida International University dokumentiert, dass das in dem Feuchtgebiet erbaute Wohnhaus schon seit den 1990er-Jahren abgesunken sein muss. «Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass Absenkungen in lokalisierten Bereichen mit einer Grössenordnung von bis zu drei Millimetern pro Jahr auftreten», heisst es in der Studie.
US-Medien berichteten ausserdem über ein Schreiben der Hausverwaltung, die mit Verweis auf strukturelle Risiken Millionensanierungen anmahnte. Ermittler werden der Frage nachgehen, ob die offenbar fälligen Sanierungen mit dem Einsturz zusammenhingen. Auch das Nationale Institut für Standards und Technologie, das dem US-Handelsministerium untergeordnet ist, kündigte eine Untersuchung zu dem Einsturz an. Der Leiter der Behörde, James Olthoff, sagte vergangene Woche, es könne womöglich Jahre dauern, bis es klare Antworten gebe. «Aber wir werden nicht aufhören, bis wir die wahrscheinliche Ursache dieser Tragödie ermittelt haben.»
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