Volksentscheid am 29. NovemberAufstand der Untergrund-Künstler
Die Trinkgeld-Initiative ist auch ein Angriff auf das elitäre Kulturverständnis in Basel-Stadt. Der Abstimmungskampf ist lanciert.

Ob die Corona-Situation für die Verfechter der Basler Trinkgeld-Initiative ein Vorteil ist? Zwar konnte das Ja-Komitee wegen der Restriktionen nicht mit voller Wucht auftreten und seine breite Verankerung demonstrieren. Der Auftakt für den Abstimmungskampf musste am Donnerstag im kleinen Rahmen per Videokonferenz erfolgen. Doch in zweierlei Hinsicht spielt die Pandemie den Befürwortern in die Karten: Zum einen ist die Not in der Alternativkultur gerade in dieser Zeit gewachsen, was Sympathien schaffen könnte. Zum anderen wird wohl ein grosser Teil des Abstimmungskampfs im Internet ausgetragen – und damit kennen sich die jungen Unterstützer der Subkultur bekanntlich besser aus als die tendenziell älteren Vertreter der sogenannten Hochkultur.

Das Spannungsfeld zwischen Sub- und Hochkultur in Basel-Stadt ist es auch, das bei dieser Abstimmungsvorlage – der Urnengang ist am 29. November – besonders zum Ausdruck kommt. Die Untergrund-Künstler und ihre Unterstützer wollen ein grösseres Stück des Kuchens abbekommen. Konkret sollen jährlich mindestens fünf Prozent des ordentlichen kantonalen Kulturbudgets in die Basler Jugendkultur fliessen – dazu zählt das Komitee auch Alternativ-, Club-, Pop- oder Subkultur. Aktuell erhalten diese Sparten nach Angaben der Initianten lediglich etwa 2,5 Prozent der insgesamt rund 130 Kulturmillionen, der Rest kommt der professionellen Kultur wie etwa Museen oder Theatern zugute. Emélie Dunn, Mitglied des Initiativkomitees, sagt es so: «In Basel zeichnet sich das Bild ab, dass sich der Kanton eher für etablierte Kultur zuständig fühlt, statt sich Unkonventionellem zuzuwenden.» Die Forderung sei «moderat und berechtigt».
Wie umverteilen?
«Das Kulturbudget steigt jährlich, aber davon haben wir nichts gesehen», reklamiert auch Jo Vergeat, Grossrätin des Jungen Grünen Bündnisses und Geschäftsführerin von Kulturstadt Jetzt. Laut Elena Conradt, Vorstandsmitglied des Jugendkulturfestivals (JKF), reiche es nicht, dass die Stadt ihre «vielen Leuchttürme» unterstütze. Mit dem «Trinkgeld» von fünf Prozent – daher der Name – könne massgeblich zur kulturellen Vielfalt beigetragen werden. «Der Kanton verschenkt viel Potenzial», sagt auch Musiker Marcel Colomb.
Sollte die Initiative vom Basler Stimmvolk gutgeheissen werden, würde dies von der Politik heikle Entscheide abverlangen. Entweder wird das Globalbudget erhöht, oder aber man verteilt die Gelder zugunsten der Jugendkultur um. Das Komitee hält sich bei solchen Fragen bewusst raus. «Der Grosse Rat hat die Verantwortung über das Budget und muss dieses gestalten. Wir geben lediglich die 5-Prozent-Hürde vor», sagt der Jungfreisinnige Titus Hell. Man habe den Initiativtext bewusst offengehalten und wolle da nicht reinreden.
«Nicht in Tortenstücken denken»
Gerne hätte die Regierung eine Stellungnahme veröffentlicht, um ihre Sicht auf die Initiative darzulegen. Doch der Grosse Rat hat beschlossen, dass die Vorlage direkt dem Stimmvolk unterbreitet wird. Wie heiss das Eisen tatsächlich ist, zeigen die Äusserungen der beiden Co-Leiterinnen der Abteilung Kultur von Basel-Stadt, Katrin Grögel und Sonja Kuhn, in einem früheren Interview der «Tageswoche». Kuhn sagte etwa: «Fängt man an, Populär- gegen Hochkultur auszuspielen, haben alle verloren.» Stattdessen sei szenenübergreifende Solidarität gefragt. «Grundsätzlich darf man eine Kulturstadt nicht in Tortenstücken denken. Es geht um ein ganzes Ökosystem», argumentierte auch Grögel.
Dass die Kritik der Untergrund-Künstler am elitären Kulturbegriff nicht unberechtigt ist, sieht man auch an den Bemühungen von Kuhn und Grögel, die Jugendkultur nicht definieren zu wollen. Sie geben im «Tageswoche»-Interview zu bedenken, dass etwa auch Jugendprojekte des Theaters Basel oder das Haus der elektronischen Künste zu der jungen Kultur und den neuen Kulturformaten gehören – Beispiele, die eben gerade nicht im Fokus der Trinkgeld-Initiative stehen. Dem Komitee geht es darum, dass auch jene Kulturschaffende Gelder erhalten, die keine grossen Institutionen im Rücken haben.

Jan Amsler ist als Redaktor für den Grossraum Basel zuständig und leitet das Team Politik. Er berichtet über das politische Tagesgeschäft, schreibt Kommentare, Analysen und Hintergründe.
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