Brückenbauer aus Binningen«Auch in der Ukraine wird es Vermittlung brauchen»
Marc Joset versucht seit Jahren, in Konflikten zu vermitteln. Nun hat der ehemalige Politiker mit Wurzeln im revolutionären Jura ein Buch geschrieben, das von historischen Stationen seines Lebens handelt.

Marc Joset, es geht Ihnen darum, Brücken zu bauen zwischen Religionen, ethnischen Gruppen, verfeindeten Lagern. Was treibt Sie an?
Da ich als Politiker auch polarisiert habe, lernte ich, es zu schätzen, wenn Brücken gebaut werden. Brücken zu bauen ist mir deshalb ein Anliegen. Das zieht sich durch mein ganzes Leben hindurch. Es ist etwas, das in unserer Familie, die ihre Wurzeln im Jura hat, drinsteckt. Nehmen Sie meinen Cou-Cousin François Lachat. Er war 1979 der erste Regierungspräsident des Kantons Jura. Ihm und seinen Mitstreitern gelang es, verschiedene jurassische Volksbewegungen zusammenzuführen und schliesslich gemeinsam den demokratischen Weg zu gehen. Nun hat der Kanton erstmals eine Bundesrätin. Das ist eine Folge seiner politischen Arbeit. Als Elisabeth Baume-Schneider in Delémont empfangen wurde, glaubte ich, Tränen in François Lachats Augen zu sehen.
Ihr Buch «Brücken über Gräben» beinhaltet Stationen Ihres Lebens, oft herausfordernde. Warum haben Sie es geschrieben?
Ich wollte etwas Autobiografisches schreiben, aber nicht nur. Auch wollte ich nicht ausschliesslich über meine Aktivitäten mit Friedensbrugg und anderen Organisationen berichten. Es sollte eine Mischung aus Erlebnissen in einem historischen und gesellschaftlichen Umfeld schildern, an denen ich konkret beteiligt war. Nichts darin ist Fiktion, alles erlebt.
Sie haben sich im damaligen Jugoslawien, in Ungarn oder Ukraine engagiert. Haben Sie ein besonderes Faible für den Osten Europas?
Nein. Das rührt daher, dass ich mir vor über 30 Jahren sagte, ich will mir nicht nur die Bilder des Krieges in Jugoslawien ansehen, sondern aktiv helfen. Der damalige Baselbieter Ombudsmann Louis Kuhn und ein paar Kollegen sahen das genauso. Kuhn war als Ombudsmann bereits ein Vermittler. Ich dachte, als Lehrer könne ich mich einbringen, indem ich mit Lehrern in Workshops arbeite. Wir haben Mitglieder aus unterschiedlichen
Berufen zusammengetrommelt, die dasselbe taten. Themen wie das Gesundheitswesen, Landwirtschaft – aber immer vor dem Hintergrund, dass wir letztlich Vermittlungsarbeit leisten.
Wie bringt man verfeindete Parteien zusammen?
Wir haben Wert daraufgelegt, dass wir gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Das kann Monate oder sogar Jahre dauern. Erst wenn das Vertrauen aller Konfliktparteien in uns gross genug ist, bringen wir sie zusammen. Das machen wir heute in der Ukraine nicht anders, als wir es zuvor bereits im Jugoslawienkonflikt taten.
Was darf man nicht tun, wenn man verfeindete Parteien an einen Tisch bekommen will?
Ich habe erlebt, wie viele Organisationen einfach Geld reingepumpt haben. Schnell vorbeikamen, einen Drucker oder sonst etwas spendeten und gleich wieder weg waren. Also keine Beziehung aufbauten. Das tun wahrscheinlich jetzt auch viele in der Ukraine wieder. Das ist ja okay, nur gilt es dann auch Aufbauarbeit zu leisten, wenn Geld und Material dort sind. Auch in der Ukraine wird es wiederum Vermittlung brauchen, wenn der Krieg hoffentlich bald vorbei ist. Im Land werden nach wie vor russischsprachige und -stämmige Leute leben.
Was würden Sie als Ihren grössten Erfolg bezeichnen?
Dass es die Friedensbrugg nach 31 Jahren überhaupt noch gibt. Dass diese Idee immer noch aktuell ist.
Und Ihre grösste Niederlage, in der Absicht, Brücken zu bauen?
Anfangs mussten wir einige Male Lehrgeld zahlen. Zum Einstieg haben wir uns an die Flüchtlingsorganisation der UNO, den UNHCR, gewandt. Uns wurde ein Projekt zugewiesen. Es ging darum, Enten aus Ungarn an arme Leute in den Dörfern Ex-Jugoslawiens zu liefern. Das haben wir bezahlt. Ich wollte mir daraufhin ansehen, was die Leute daraus gemacht hatten. Es war eine Enttäuschung. Die einen erzählten mir, die Enten seien gar nicht angekommen, die anderen erklärten, sie hätten sie gegessen, weil sie sonst nichts zu essen gehabt hätten. Wir von der Friedensbrugg merkten, wir müssen mit unserem persönlichen Know-how aktiv werden und nicht fremde Projekte unterstützen.
Sie richten in Ihrem Buch den Fokus auch auf Geschehnisse, die sich vor der Haustür abspielten. Wie Sie als Pfadfinder 1963 dazu angehalten wurden, im Stadttheater Basel ein Stück auszupfeifen, welches das Schweigen des Papstes zum Holocaust thematisierte. Oder wie 1986 im Foyer desselben Theaters die Katastrophe von Schweizerhalle debattiert wurde. Warum das Theater ums Theater?
Ich bin jemand, dem das Theater am Herzen liegt. Ich habe denn auch Theatergeschichte studiert. Es ist diese Entwicklung, die dieses Theater genommen und ich miterleben durfte. War das Theater Basel in den 1960er-Jahren noch sehr konservativ geprägt, wurden Mitte der 1970er-Jahre progressive Strömungen sichtbar. Es wurde plötzlich möglich, Podien zu aktuellen gesellschaftlichen Themen durchzuführen. Damit baute das Theater Brücken. Auf der kleinen Bühne haben fast nur politische Diskussionen oder Stücke mit politischer Diskussion zuvor oder danach stattgefunden. Die kleine Bühne wurde quasi dafür kreiert. Vielleicht fehlt das heute ein wenig.
Brücken über Gräben, 82 Seiten, 25 Franken, erschienen 2022 bei Petit Lucelle Publishing house, ISBN 978-3-033-09325-6.
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