Innovative AnthroposophenArzt- und Pflegepersonal soll künftig wieder auf Hausbesuch gehen
Die Klinik Arlesheim will gewisse Patienten künftig zu Hause statt im Spital behandeln. Damit können Gesundheitskosten gesenkt und die Zufriedenheit gesteigert werden, wie Beispiele im Ausland bereits zeigen.

Spätestens seit der Corona-Pandemie ist es ein offenes Geheimnis: In Spitälern werden Krankheiten nicht nur geheilt, sondern auch übertragen – zum Beispiel durch antibiotikaresistente Keime. Die Pandemie machte zudem deutlich, dass die Anzahl freier Betten in einem Spital begrenzt ist, was je nach Patientenaufkommen zu problematischen Situationen führen kann – bis hin zu Triagen in der Notaufnahme.
Die Klinik Arlesheim hat diese Erkenntnisse zum Anlass genommen, um eine kleine Revolution im Schweizer Gesundheitswesen voranzutreiben, wie es Severin Pöchtrager, Leitender Arzt an der Klinik, formuliert. Unter der Leitung der Ärztegesellschaft Baselland und gemeinsam mit dem Praxiszentrum Reinach und der medizinischen Notrufzentrale Basel startete das Privatspital in Arlesheim vor anderthalb Jahren das Pilotprojekt «Home Monitoring». Geeignete Patienten – insbesondere Personen mit Infektionskrankheiten – können seither das Spital früher als üblich verlassen oder müssen gar nicht erst hospitalisiert werden.
Möglich machen dies zwei Sensoren, die – am Körper des Patienten befestigt – rund um die Uhr die Atemfrequenz, die Sauerstoffsättigung des Blutes, den Puls und die Körpertemperatur oder den Blutdruck messen und die Daten über eine App im Smartphone direkt an die Notrufzentrale übermitteln. Der behandelnde Arzt bestimmt im Vorfeld, was bei Veränderungen der Vitalzeichen zu tun ist, ab wann zum Beispiel eine telefonische Kontaktaufnahme durch die Notrufzentrale oder den behandelnden Arzt erfolgt oder ob sich die erkrankte Person ins Spital begeben muss.
Behandlungskosten um 10 Prozent tiefer
Die Auswertung des Pilotprojekts habe gezeigt, dass ein Tag im «Home Monitoring» nur ein Drittel dessen koste, was für einen Tag im Spital berechnet werden müsse, schreibt Conrad Müller, Vizepräsident der Ärztegesellschaft Baselland, in einem Artikel, der jüngst in der «Schweizerischen Ärztezeitung» erschienen ist. Zudem würden Infektionen mit Spitalkeimen verhindert, und auf Reintegrationsmassnahmen, wie sie nach einer Spitalentlassung oft nötig seien, könne dank der Behandlung zu Hause verzichtet werden. Denn: Eine Studie habe aufgezeigt, dass Patientinnen und Patienten zu Hause im Durchschnitt 209 Minuten pro Tag aktiv seien, im Spital bei der gleichen Erkrankung lediglich 78 Minuten. Die Verbundenheit mit der Überwachungszentrale gebe den Patienten Sicherheit und Komfort.
Die weitreichendere Innovation im Gesundheitswesen steckt allerdings im Folgeprojekt «Hospital at Home», das sich in Arlesheim noch in einer Pre-Pilotphase befindet. Das Ziel: Akut kranke Patienten und Patientinnen sollen künftig nicht nur zu Hause überwacht, sondern – sofern sie das wollen und psychisch wie körperlich in der Lage dazu sind – auch von mobilem Arzt- und Pflegepersonal behandelt werden. Neben den klassischen Versorgungsformen ambulant und stationär wäre dies eine dritte Behandlungsmöglichkeit, die der zunehmenden Individualisierung in der Gesellschaft Rechnung trägt. Krankheiten, die sich für eine Behandlung zu Hause eignen, sind zum Beispiel schwere Lungen- oder Nierenbeckenentzündung, COPD oder Herzinsuffizienz. Auch Schmerztherapien und Palliativmedizin könnten zu Hause durchgeführt werden.

«Auch hier könnten voraussichtlich die Kosten um bis zu 10 Prozent gesenkt werden, wie sich anhand von internationalen Daten zeigen lässt», sagt der Leitende Arzt Severin Pöchtrager und führt eine Reihe von Gründen auf. «Es liegt auf der Hand, dass damit die Kosten für die Infrastruktur des Spitals gesenkt werden können. Zusätzlich ist mittlerweile aber auch wissenschaftlich nachgewiesen, dass Patienten zu Hause schneller gesund werden, weniger Medikamente verabreicht werden müssen und sich dadurch auch weniger Komplikationen ergeben», sagt er.
So könnte etwa die durch den Ortswechsel ins Spital bedingte Verwirrtheit älterer Patienten, das sogenannte Delir, reduziert werden. Das wiederum verbessere deren Heilungsprozess und reduziere die Verabreichung sedierender, schlafunterstützender Medikamente. In der Folge könne auch die Gefahr von Stürzen vermindert werden – zumal die Patienten die gefährlichen Stellen im eigenen Haushalt ohnehin besser kennen als im Spital.
Gegen den Verlust von Autonomie
Dass mit der Klinik Arlesheim gerade eine anthroposophische Institution das Konzept von «Hospital at Home» für sich entdeckt habe, sei kein Zufall, so Pöchtrager weiter. «Wir sind davon begeistert, weil dieses Konzept die Patientenautonomie steigert, ein Kernanliegen unserer medizinischen Versorgung.» Es zeige sich nämlich im Alltag, dass Patienten beim Spitaleintritt oft die Verantwortung für ihre Gesundheit dem Arzt- und Pflegepersonal übergeben und dadurch körperlich abbauen würden, so Pöchtrager. «Nicht selten bahnt dieser Autonomieverlust den Weg ins Altersheim vor.» Das könne durch die Behandlung zu Hause verhindert werden.
In den USA und europäischen Ländern wie Spanien und England wird «Hospital at Home» bereits seit Jahren praktiziert und erforscht. In der Schweiz sei man da noch nicht so weit, meint Pöchtrager. Die Tatsache, dass am World Hospital at Home Congress von vergangener Woche in Barcelona gleich 26 Vertreter von Schweizer Gesundheitsinstitutionen teilgenommen hätten, zeige aber das wachsende Interesse hierzulande.
Auch die Baselbieter Gesundheitsdirektion zeigt sich offen gegenüber der Initiative aus Arlesheim. «Der Kanton sieht in der zunehmenden Anzahl ambulanter Behandlungen ein Potenzial zur Dämpfung des Anstiegs der Gesundheitskosten», heisst es auf Anfrage. Man könne sich vorstellen, ein Projekt der Klinik Arlesheim künftig zu unterstützen.
Kanton Baselland zeigt Interesse
Allerdings muss zunächst die Finanzierung von «Hospital at Home» geklärt werden, bevor ein Pilotprojekt überhaupt lanciert wird. In der Schweiz beteiligen sich die Kantone nämlich nur an stationären Behandlungen. Für die ambulanten kommen allein die Krankenkassen auf. Im Baselbiet befinde man sich im Gespräch, wie Rolf Wirz, Sprecher der Gesundheitsdirektion, bestätigt. «Angedacht» sei eine Aufteilung der Kosten zwischen Krankenkasse (45 Prozent) und Kanton (55 Prozent), wie es bereits beim «Hometreatment» der Psychiatrie Baselland praktiziert werde.
Einen Vorteil sieht Pöchtrager in der mobilen Medizin nicht zuletzt auch für das Personal. «Wir beobachten, dass die Zufriedenheit der Mitarbeitenden höher ist, wenn sie bei der Arbeit eine höhere Selbstwirksamkeit spüren», sagt er. Die Beziehung zum Patienten, aber auch der Austausch mit dem Arztpersonal sei für das Pflegepersonal intensiver. Trotzdem arbeite man selbstständiger und sehe dadurch auch mehr Sinn in der Arbeit.
«Los emol» – der Podcast der Basler Zeitung
«Los emol» beleuchtet Themen, die Basel bewegen. Moderiert von René Häfliger. Abonnieren Sie den Podcast über Apple Podcasts, Google Podcasts, Spotify oder jede gängige Podcast-App.
Fehler gefunden?Jetzt melden.