Argentinien wittert Verschwörung
Atemberaubend schlecht gespielt und Bolivien 0:2 unterlegen – ohne Messi. Warum fehlt dieser eigentlich?

Am Tag danach erwachte Argentinien aus einem unruhigen Traum, und die Realität war schlimmer als das, was Kafka je erdacht hatte. Angst hatte sich am Río de la Plata aufgetürmt, ein Gefühl von Verlassenheit, Trübsinn, Resignation. «Wir sind Waisen», konstatierte die Zeitung «Clarín», und in der Tat: Die Nacht zum Mittwoch hatte belegt, dass das Leben ohne Lionel Messi, den Captain der argentinischen Nationalmannschaft, ungleich schwerer ist als mit ihm. Nur wenige Stunden nachdem der Fussball-Weltverband Fifa den 29-Jährigen mit sofortiger Wirkung für insgesamt vier Qualifikationsspiele für die Weltmeisterschaft in Russland gesperrt hatte, verlor Argentinien in Bolivien 0:2.
Ohne den weltbesten Fussballer, der wegen der Beleidigung eines Linienrichters aus dem vorangegangenen Spiel gegen Chile bestraft wurde, rutschte Argentinien auf den fünften Tabellenplatz der Südamerikagruppe ab und blickt einem nahezu beispiellosen Horrorszenario entgegen: Der zweimalige Weltmeister muss fürchten, erstmals seit 1970 die sportliche Qualifikation für eine WM zu verpassen.
Wie begründet die Angst ist, führte das Spiel in La Paz brutal vor Augen. Niemand war gewillt, ernsthaft die mildernden Umstände ins Feld zu führen, die bei Reisen nach La Paz gelten. Auf 3600 Meter Höhe sind ja schon andere gescheitert, 2009 verlor Argentinien sogar 1:6 – mit Messi auf dem Feld und Diego Maradona, dem Weltmeister von 1986, auf der Trainerbank. Argentinien spielte gegen Bolivien atemberaubend schlecht beziehungsweise: nur in Nuancen besser als in der Vorwoche gegen Chile.
Zeit für einen neuen Trainer
«Bolivien hat verdient gewonnen», gestand Nationalcoach Edgardo Bauza in einer zehnminütigen Pressekonferenz, in der er gleich fünfmal gefragt wurde, ob er mit einer Absetzung rechne oder von selbst gehen wolle. Das Urteil in Argentinien gegen ihn ist einhellig: Die Medien jonglieren schon Trainernamen wie Jorge Sampaoli (FC Sevilla), Marcelo Gallardo (River Plate) oder Diego Simeone (Atlético Madrid). Der nächste Spieltag in Südamerika steht in hundert Tagen an, es wäre also auch in dieser Hinsicht Zeit für einen neuen Mann.
«Mich verbiegt nichts und niemand», sagte Bauza trotzig – und ging dazu über, die längst grassierenden Verschwörungstheorien zu nähren. «Irgendjemand hat etwas dafür getan, dass dies geschehen konnte», raunte er in Anspielung auf Messis Sperre.
Daran, dass es einen Anlass gab, ihn zu bestrafen, gibt es keinen Zweifel. TV-Aufnahmen belegen, dass er den Schiedsrichterassistenten wutentbrannt aufforderte, sich in den Schoss seiner Mutter zurückzuscheren – in Begrifflichkeiten, die vulgär, auf südamerikanischen Fussballplätzen aber handelsüblich sind. Die Debatten kreisen aber vor allem darum, wie es zur Strafe kam.
Messis Tirade war nicht im Spielbericht zu finden, die Fifa wurde von Amts wegen tätig – und bestrafte Messi im Schnellverfahren. Und die Argentinier fragen sich: Wurde Messi abgestraft, weil er zu Beginn des Jahres die Fifa-Gala geschwänzt hatte? Wurde die Fifa auf Initiative der Chilenen tätig, die im Kampf um die WM-Tickets in direkter Konkurrenz zu Argentinien stehen? Und: Wozu ist Maradona eigentlich noch nütze?
Maradona ist neuerdings Berater von Fifa-Chef Gianni Infantino. Ihm wird vorgehalten, mindestens untätig gewesen zu sein. «Ich hatte mit der Sperre nichts zu tun!», rief Maradona empört in sein Handy und schickte die Audiodatei ans Radio.
Waren es etwa die Brasilianer?
Am Mittwoch hatten sich viele Argentinier wieder auf die brasilianischen Nachbarn eingeschossen, die in Südamerikas Verband den Vorsitzenden des Schiedsrichterausschusses stellen. Der Verdacht: Die bereits qualifizierten Brasilianer wollen einen möglichen WM-Titelgegner vorzeitig ausschalten.
Andere in Argentinien trauern einem Toten hinterher: «Mit Julio wäre das nicht passiert», heisst es in Anspielung an Julio Grondona, den Paten des argentinischen Fussballs. Der Tod des früheren Fifa-Vizepräsidenten und Strippenziehers (2014) liess ein Machtvakuum entstehen, das Argentiniens Fussball wie ein Trümmerfeld wirken lässt, aus dem Schwaden der Korruption und Unfähigkeit dampfen. Das Nationalteam wirkt da bloss wie ein Spiegel. Nun muss es ohne Messi auskommen. Aber Argentinien hofft immer noch, dass die Sperre nach dem Einspruch reduziert wird.
WM-Ausscheidung Südamerika Argentiniens Restprogramm: a Uruguay, h Venezuela, h Peru, a Ecuador
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch