Antisemitismus-Zensur
Arte will einen Doku-Film nicht zeigen – mit schlechten Argumenten.

Zwei Buben sitzen im Tarnanzug in einem Fernstehstudio von Hamas TV. Ein Mädchen mit Kopftuch befragt sie nach ihrem Berufswunsch. Der eine sagt, er möchte Kämpfer der Kassam-Brigaden werden, der Terrorgruppe der Hamas. Der andere: «Ingenieur, damit ich Juden in die Luft jagen kann.» – Es ist eine Szene aus dem Dokumentarfilm «Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa», den WDR und Arte 2015 in Auftrag gaben und, seit er fertig ist, nicht zeigen wollen.
Der Programmdirektor von Arte, Alain Le Diberder, begründete den Entscheid mit dem fehlenden «Proporz» der Drehorte und damit, dass der deutsch-palästinensische Publizist Ahmad Mansour den Film nicht – wie ursprünglich geplant – mitproduzierte. Dies soll zur Folge gehabt haben, dass der Film nicht «ausgewogen» sei. Arte, so ist zu vermuten, vermisst neben den Autoren Joachim Schröder und Sophie Hafner eine muslimische Perspektive. Mansour wurde vor Kurzem Vater und fungierte bei der Produktion aus Zeitgründen nur als Berater. Auf seinem Facebook-Account sprach er sich aber ausdrücklich für den Film aus und bezeichnete die Reaktion von Arte als «inakzeptabel». Hinter Mansour kann sich der Sender also nicht verstecken.
Beamtenmässige Bedenken
Bleibt der Vorwurf mit den Drehorten: Wie der Arte-Direktor erklärte, hätte der Film auch in Norwegen, Schweden, Grossbritannien, Ungarn und Griechenland spielen müssen. Neben Berlin und Paris fokussiert der realisierte Film tatsächlich stark auf Palästina und Israel. Arte verweist deshalb auf «gravierende Abweichungen vom genehmigten Konzept» und flüchtet sich in beamtenmässige Bedenken. Auf die öffentliche Kritik reagiert der Sender gereizt: Der Vorwurf des Antisemitismus sei «grotesk», die Unterstellung, der Film passe aus politischen Gründen nicht ins Programm, «absurd».
Anders aber ist schwer zu erklären, wieso sich Arte und WDR hartnäckig gegen eine Publikation des Filmes stemmen. Der Hinweis auf die fehlende «Ausgewogenheit» deutet darauf hin, dass die Anstalten mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind. Der Film zeigt, wie sich Rechtsextremisten, Linksextremisten und Islamisten im Hass auf die Juden gleichen. Viele Protagonisten verbünden sich im Film unabgesprochen in der Phrase: Israel behandle die Palästinenser, wie die Deutschen die Juden im Zweiten Weltkrieg behandelten.
Er zeigt den Antisemitismus der Christen, in der Rap-Kultur, von Verschwörungstheoretikern, aber auch den gewohnheitsmässigen Antisemitismus in der arabischen Kultur. Fehlende Ausgewogenheit heisst letztlich so viel wie: Die Juden kommen im Film zu gut weg, Links-Extremisten und Islamisten zu schlecht. In Deutschland sieht man es lieber, wenn Antisemiten klassische Nazis und als solche erkennbar sind.
Das Sensorium für arabischen und linken Antisemitismus ist hingegen eher eingeschränkt; auch wenn diese Formen – aufgepeitscht vom Nahostkonflikt – heute eindeutig dominanter sind. Im Film gibt es eine Szene, in der Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas vor dem EU-Parlament eine Rede hält und erzählt, Rabbiner hätten die israelische Regierung aufgefordert, das Wasser der Palästinenser zu vergiften. Abbas beschwört das Bild der jüdischen Brunnenvergifter. Für die Rede gab es in Brüssel Standing Ovations, und Martin Schulz, der SPD-Kanzlerkandidat, twitterte: «Inspirierende Rede».
Es war die Bild, die den Film der Öffentlichkeit einen Tag lang zugänglich machte und sich dabei selbstherrlich als Stimme der Aufklärung gerierte. Mittlerweile ist er auch auf Youtube frei verfügbar. Arte nannte «diese Vorgehensweise» in einer Pressemitteilung «befremdlich», schrieb aber gleichzeitig, der Sender habe «keinen Einwand, dass die Öffentlichkeit sich ein eigenes Urteil» bilden könne. Arte, dessen Image in der Diskussion gelitten hat, will einen Rechtsstreit vermeiden. Als Input für die Diskussion um Antisemitismus in Deutschland ist der Film zu begrüssen. Im guten Willen, verschiedene NGOs fragwürdiger Zahlungen an palästinensische Organisationen überführen zu wollen, ist der Film aber über weite Strecken langweilig. Fernsehen ist ein Unterhaltungsmedium.
Stilistische Mängel
Ein Fehlgriff sind die Raffer, mit denen Statements von Gesprächspartnern bis zur Unkenntlichkeit beschleunigt werden. Manche Leute, die sich antisemitisch äussern, sprechen so in einer Art Donald-Duck-Sprache. Die Reaktion des Zuschauers ist unwillkürlich, sie in Schutz zu nehmen. Der Film ist stilistisch zu lässig.
Interessant ist er da, wo er das Thema Antisemitismus in Europa beleuchtet. Eine Demonstration in Frankfurt wird gezeigt, bei der arabische Jugendliche rufen: «Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein.» In Sarcelles bei Paris kam es 2014 zu einem gewaltsamen Sturm auf eine Synagoge und jüdische Läden. Die meisten Juden, die eingeklemmt in arabische Banlieus leben, denken ans Auswandern. Einer sagt: «Wenn ein Jude hier nicht leben kann, gibt es diese säkulare Republik nicht mehr.» Der Satz gilt für ganz Europa.
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