Deutsche GegenwartsliteraturAntifaschistische Biergartenmusik
Paula Irmschlers Debütroman «Superbusen» holt die Popliteratur in die Gegenwart. Hier: Nach Ostdeutschland
in Zeiten der AfD. Und zeigt, wie politisch sie heute sein kann.

Paula Irmschler kennt ihre Generation. Das offenbart die «Titanic»-Redaktorin in ihrem Debütroman «Superbusen» bereits auf den ersten Seiten: Wer nicht schon nach wenigem Blättern «so ist es» gedacht hat, kann kein smartphoneabhängiger, twitterkonsumierender, autoloser, in zu teuren Städten mit zu kleinen WG-Zimmern lebender Millennial sein. In der Eingangsszene liegt die Protagonistin Gisela auf einer Matratze auf dem Boden und scrollt durch die App der Deutschen Bahn, als ihr das Handy ins Gesicht fällt: «Wann hört so etwas eigentlich auf? Wann ist man alt genug, ein Handy zu halten?»
In «Superbusen» kehrt Gisela nach Chemnitz zurück. Dort hat sie viele Semester Politikwissenschaft studiert. Jetzt reflektiert Gisela übers Weggehen und über die, die zurückbleiben. «Superbusen» ist der Versuch einer Gegenwartsmitschrift; der Versuch, ein bestimmtes Milieu zu inventarisieren: die politische Linke, die in den 2010er-Jahren auszog und studierte, zum ersten Mal alleine lebte, neue soziale Kreise erschloss und sich abgrenzte. Die mit eigenen Ängsten und Unsicherheiten und Ungleichheiten kämpft und gleichzeitig mit einer sich nach rechts verschiebenden politischen Landschaft. Kinder der Neunzigerjahre, die sich den Soundtrack für ihr Leben wünschten, den Irmschler nun liefert: Oasis, Coldplay, Robyn und Beyoncé.
Viele kleine Manifeste
«Superbusen» ist ein Poproman. Aber keiner in der Tradition der 1990er, mit Sommerschals und Barbourjacken und einer süffisanten Verachtung für die als sinnentleert empfundene, aber unentrinnbare Gegenwart. Statt einer «Verweishölle» ist Irmschlers Inventarisierung der Gegenwart eine Aneinanderreihung kleiner Manifeste: Auf die kulturelle Bedeutung von Britney Spears, auf WG-Küchen, in denen «meist geraucht werden darf und die Kaffeemaschine immer läuft». Auf Pärchen, die «verschworen» sind und «ineinandergeknubbelt», die «immer gleich mehrere Tees» machen und sich «gegenseitig abholen». Auf eine Linke, die ihre Nase nicht in der «Dialektik der Aufklärung» vergräbt, sondern die da ist, auch, wenn nicht gerade eine grosse Band dazu aufruft.

Irmschler schreibt politisch, und sie tut es mit einer Dringlichkeit, für die es in der Popliteratur lange keinen Platz gab. Während die Texte der früheren Popliteraten Absagen waren an kollektive Bezüge, ist «Superbusen» ein Plädoyer fürs Gemeinsame. Wo Christian Kracht und Co. Politik als Ästhetik deuteten, erkennt Irmschler Quatsch: Politik ist bei ihr Politik, und Widerstand gegen Faschisten ist keine diskursiv-ästhetische Haltung, sondern Handarbeit. Deswegen ist Irmschlers Protagonistin Antifaschistin und blockiert Nazidemos oder rennt auf dem Nachhauseweg davor weg. Sie streitet sich mit Sexisten, lästert über Polizisten und schreibt ein Lied an den deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn: «Ich fress die Pille danach wie Smarties / Ich zieh dir Drogen ab auf deinen Partys.»
Was für frühere Popliteraten zu plump, zu direkt gewesen wäre, erscheint hier als Haltung. Das hängt auch damit zusammen, dass Irmschler die Gegenwart nicht nur darüber beschreibt, welches Bier man trinkt oder welche Musik man hört, sondern auch über gesellschaftliche Ereignisse, die Deutschland noch lange definieren werden. Den «Trauermarsch» in Chemnitz im August 2018, als Tausende Rechtsradikale wenigen Gegendemonstranten gegenüberstanden. Oder das anschliessende Demo-Festival unter dem Motto «Wir sind mehr».
Der Roman ist Post-Kölner-Silvesternacht, ist Post-Flüchtlingskrise, ist Ostdeutschland-in-Zeiten-der-AfD.
Der Roman ist Post-Kölner-Silvesternacht, ist Post-Flüchtlingskrise, ist Ostdeutschland-in-Zeiten-der-AfD. Ein Poproman, der der eigenen Historizität nicht entflieht. Die Dringlichkeit ist ambivalent. Zwar ist es schön, einer Protagonistin zu begegnen, die ihre Wut, Traurigkeit und Angst angesichts persönlicher und politischer Verschiebungen nicht hinter einem Schleier der Ironie verbirgt oder in den Exzess flieht. Gleichzeitig läuft «Superbusen» aber Gefahr, weniger Literatur zu sein als eine politische Kolumne und Irmschlers Protagonistin weniger ein Charakter als eine Aneinandersammlung «richtiger» Meinungen. Antifaschistische Biergartenmusik: Als Leser schunkelt man dann mit, weil alles andere auch nicht cool wäre.
Paula Irmschler: Superbusen. Roman. Claassen, Berlin 2020. 320 S., ca. 27 Fr.
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