Moldau unter Druck RusslandsAngst vor einem Umsturz
Finanzkräftige Handlanger Moskaus organisieren in Chisinau Massenproteste, die den Rücktritt der proeuropäischen Regierung verlangen.

Die Massenproteste vom Sonntag gegen die proeuropäische Regierung und Präsidentin Maia Sandu waren nur der jüngste Höhepunkt in einer an Spannungen, Drohungen und Warnungen reichen Zeit für die Republik Moldau. Tausende, die mit Bussen in die Hauptstadt gekarrt worden waren – vor allem Rentner und Dorfbewohner –, hatten in Chisinau dafür demonstriert, dass der Staat ihre hohen Energierechnungen, die in der Folge des russischen Angriffskriegs und der grassierenden Inflation bei den Bürgern aufgelaufen waren, zur Gänze übernehmen müsse.
Eine «Bewegung für das Volk», die unlängst ins Leben gerufen worden war und die den Rücktritt von Sandu und dem erst kürzlich ins Amt gewählten, neuen Ministerpräsidenten Dorin Recean fordert, hatte die Proteste orchestriert. Die Demonstranten am Sonntag skandierten zum Beispiel «Nieder mit Sandu!» und trugen Poster, auf denen einige der führenden Politiker des Landes neben Fotos grosser Häuser und Luxusautos gezeigt wurden. «Sie haben Millionen, wir sterben an Hunger» stand darauf. Russland reduzierte letztes Jahr seine Gaslieferungen an Moldau drastisch, was dort zu einer Energiekrise und starker Inflation führte.
Hinter den Demonstrationen gegen die Regierung soll die Partei des in Israel lebenden Moldauers Ilan Shor stehen, die 6 der 101 Sitze im Parlament hält. Nach Angaben der Regierung und des moldauischen Geheimdienstes bedient sie russische Interessen in der ehemaligen Sowjetrepublik.
Flucht nach Verurteilung wegen Diebstahls
Bereits im Herbst hatte die Partei des ehemaligen Bürgermeisters von Orhei Demonstrationen gegen die Regierung organisiert, diese strengte damals ein Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht an, weil Shor die «Interessen einer ausländischen Macht verfolge und die staatliche Souveränität Moldaus» untergrabe.
Shor wird auch vorgeworfen, vor knapp zehn Jahren an einem gigantischen Diebstahl mitgewirkt zu haben, bei dem 900 Millionen Euro aus dem moldauischen Bankensystem verschwanden. Er wurde deshalb zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, setzte sich aber während des Berufungsverfahrens nach Israel ab. Mittlerweile steht Shor auch auf Sanktionslisten der USA. Parallel dazu soll auch der frühere Präsident Igor Dodon – finanziert vom russischen Geheimdienst FSB – für Moskau gearbeitet haben, was er bestreitet.
Die Proteste, auf denen höhere Finanzhilfen für Bürger sowie der Rücktritt der Regierung gefordert werden, dürften nur eines von vielen Problemen eines Landes sein, das so direkt in den Strudel des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hingezogen wurde wie kein anderes.
Erst jüngst hat der russische Aussenminister Sergei Lawrow gedroht, Moldau könnte demnächst das Schicksal der Ukraine teilen.
Am vergangenen Dienstag etwa, kurz bevor Präsidentin Maia Sandu zur Münchner Sicherheitskonferenz reiste, war der Luftraum über dem Nachbarland der Ukraine kurzzeitig geschlossen worden – weil ein «unidentifiziertes Objekt» am Himmel gesichtet worden war. In den vergangenen Wochen hatten mehrmals russische Marschflugkörper, die von Kriegsschiffen im Schwarzen Meer abgeschossen worden waren, den Luftraum des kleinen Landes überflogen. Chisinau protestierte vergeblich in Moskau.
Grosse Sorgen machen Sandu und ihrem Team auch Informationen, die der ukrainische Geheimdienst abgefangen hat: Demnach soll Moskau planen, als Demonstranten getarnte Saboteure und Aufwiegler ins Land zu schicken sowie Attacken auf staatliche Einrichtungen zu orchestrieren und Geiseln zu nehmen. Das Ziel: ein Umsturz und der Austausch der proeuropäischen Regierung gegen ein Moskau-freundliches Regime. Auch internationale Beobachter werfen Russland vor, die Lage in dem verarmten Land, das in die EU strebt, destabilisieren zu wollen. Russland bestreitet die Vorwürfe eines geplanten Umsturzes.
Moldau sehe sich hybriden Attacken gegenüber, sagte dazu der neue Ministerpräsident Recean, der bis zu seiner Wahl durch das Parlament Mitte Februar Sicherheitsberater der Präsidentin gewesen war. Erst jüngst hatte der russische Aussenminister Sergei Lawrow gedroht, Moldau könnte demnächst das Schicksal der Ukraine teilen: In einem Interview mit einem russischen TV-Sender hatte Lawrow gesagt, Sandu verfolge eine explizit antirussische Agenda.
Präsidentin denkt über Ende der Neutralität nach
Um Interventionen zu verhindern, war am Donnerstag auch ein Fussballspiel zwischen dem Club FC Sheriff aus der Separatistenregion Transnistrien und dem Verein FK Partizan aus Belgrad in einem leeren Stadion abgehalten worden. Die Behörden fürchteten die Anreise von als Fans getarnten serbischen Saboteuren, die im Zuge der jüngsten Massenproteste für die russischen Umsturzpläne eingesetzt werden könnten.
Aufgrund der jüngsten Entwicklung dachte Präsidentin Sandu kürzlich laut über ein Ende der Neutralität nach. Wenn man sehe, was Russland der Ukraine antue, könne man mit Neutralität ihr Land nicht retten und verteidigen. Das sei nur möglich, wenn andere Staaten die Souveränität der Republik Moldau achteten. Nicht zuletzt Moskaus Propaganda sei schuld daran, dass die Zustimmung für eine weitere Annäherung Moldaus an die EU derzeit zurückgehe. Seit Juni ist Moldau EU-Beitrittskandidat.
Die ehemalige Sowjetrepublik mit etwa 2,6 Millionen Einwohnern grenzt an die Ukraine und an Rumänien. In Moldau hat Russland bis heute grossen Einfluss – insbesondere in der abtrünnigen Region Transnistrien, wo seit den 1990er-Jahren russische Soldaten stationiert sind.
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