Angriff auf Flüchtlingscamp ist womöglich Kriegsverbrechen
Nahe der türkischen Grenze ist ein syrisches Flüchtlingslager aus der Luft angegriffen worden. Rund 30 Menschen sind dabei gestorben. Die UNO wittert ein Kriegsverbrechen.

Die Vereinten Nationen haben den Luftangriff auf ein Flüchtlingslager in Nordsyrien mit rund 30 Toten scharf verurteilt. Falls das Camp bewusst als Ziel ausgesucht worden sei, könnte es sich laut UNO-Nothilfekoordinator Stephen O'Brien um ein Kriegsverbrechen handeln.
Die Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, Susan Rice, äusserte sich schockiert und erklärte, für einen solchen Angriff auf Zivilisten gebe es keine Rechtfertigung. Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini sprach von einer schweren Verletzung humanitären Völkerrechts.
O'Brien forderte eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls. «Anhaltende Kämpfe und Luftangriffe bedeuten, dass wehrlose, verängstigte Kinder, Frauen und Männer keinen Zufluchtsort haben», mahnte der UNO-Nothilfekoordinator. Mogherini und der EU-Kommissar für Humanitäre Hilfe, Christos Stylianides, forderten alle Konfliktparteien auf, Zivilisten und zivile Einrichtungen wie Schulen und Kliniken zu schützen.
Mindestens sieben Kinder getötet
Laut der gewöhnlich gut informierten Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei dem Luftangriff 28 Menschen getötet, unter ihnen mindestens sieben Kinder. Ausserdem seien Dutzende Menschen teils schwer verletzt worden. O'Brien sprach von mindestens 30 Toten und mehr als 80 Verletzten. Wer für die Attacke in dem von Rebellen kontrollierten Gebiet nahe der türkischen Grenze verantwortlich ist, war zunächst unklar.
Der Angriff traf den Angaben zufolge das Camp Kamouna in einer von Rebellen gehaltenen Gegend in der Nähe von Sarmada in der Provinz Idlib. In dem Lager sind Hunderte Menschen untergebracht, die aus den umliegenden Provinzen Aleppo und Hama geflohen sind.
Der Chef der in Aleppo ansässigen und den Rebellen nahestehenden Nachrichtenagentur Schahba, Mamun al-Chatib, machte die syrischen Streitkräfte für die Angriffe verantwortlich. Zwei Kampfjets der Luftwaffe hätten vier Raketen auf das Lager abgefeuert, sagte al-Chatib. Zwei Raketen seien nahe dem Camp eingeschlagen und hätten eine Panik ausgelöst; zwei weitere hätten das Lager direkt getroffen, mehrere Zelte hätten Feuer gefangen.
Ersthelfer löschten Feuer
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte stützt sich auf ein Netz von Informanten in Syrien, ihre Angaben sind von unabhängiger Seite kaum überprüfbar. Die Aktivistengruppe Örtliche Koordinierungskomitees teilte mit, Ersthelfer seien vor Ort. Sie löschten Feuer, die dort ausgebrochen seien.
Die Provinz Idlib ist eine Hochburg des Terrornetzwerks al-Qaida. Sie wird von dem Al-Qaida-Ableger Al Nusra Front und verschiedenen verbündeten Rebellengruppen kontrolliert. Die Stadt Sarmada liegt in der Nähe eines Grenzübergangs, der für die Rebellen im nordsyrischen Stadt Aleppo die letzte Verbindung in die Türkei ist.
«Schluss mit täglichem Töten»
Zuvor war nach fast zwei Wochen heftigen Kämpfen eine neue Waffenruhe in der nordsyrischen Stadt Aleppo in Kraft getreten, die zunächst weitgehend hielt. Insgesamt sind seit Ausbruch des Bürgerkriegs vor mehr als fünf Jahren nach UNO-Angaben rund 400'000 Menschen ums Leben gekommen.
Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete, dass es seit Inkrafttreten der Feuerpause zunächst keine Luftangriffe mehr gegeben habe «Wir haben seit gestern Abend nichts mehr von dem Beschuss wahrgenommen, an den wir uns schon so gewöhnt hatten», sagte ein Händler. «Schluss mit dem täglichen Töten.»
Andere Anwohner berichteten, in der Nacht seien zwar weiter Kampfflugzeuge über die Stadt geflogen, es habe aber keine Angriffe gegeben. Im Westen der Stadt sei aber ein Zivilist durch ein Geschoss getötet worden, dass wenige Minuten nach Beginn der Feuerpause von Rebellen abgeschossen worden sei, berichtete die Beobachtungsstelle.
Die Bewohner Aleppos nutzten den den Waffenstillstand, um sich mit dem Nötigsten einzudecken. Es waren mehr Läden geöffnet als in den vergangenen zehn Tagen. Die zwischen Regime und Rebellen geteilte Stadt ist umkämpftester Schauplatz in Syriens Bürgerkrieg. Den Menschenrechtsbeobachtern zufolge waren seit dem 22. April mindestens 285 Zivilisten bei Luftangriffen und Gefechten getötet worden.
Verwirrung um Beginn der Feuerpause
Die Gewalt in Aleppo hatte die Sorge genährt, die am 27. Februar in Kraft getretene Waffenruhe in Syrien könne vollends scheitern. Die USA und Syriens enger Verbündeter Russland hatten sich daraufhin auf die neue Waffenruhe geeinigt. Von dieser sind nur Dschihadistengruppen wie der Islamische Staat (IS) oder die Al-Nusra-Front ausgenommen.
Allerdings gab es Verwirrung um den Beginn der 48-stündigen Feuerpause. Syrischen Staatsmedien zufolge trat sie am frühen Donnerstagmorgen in Kraft. Nach Darstellung des US-Aussenministeriums war das schon 24 Stunden vorher der Fall.
Russland ist ein Verbündeter von Syriens Staatschef Baschar al-Assad und unterstützt dessen Truppen militärisch. Die USA führen eine internationale Koalition an, die in Syrien Luftangriffe gegen den IS fliegt.
Der Anführer der mächtigen islamistischen Rebellengruppe Dschaisch al-Islam in Aleppo, Ahmad Sanada, kündigte an, dass seine Gruppe die zweitägige Waffenruhe einhalten werde. Dschaisch al-Islam begrüsse «jede Initiative, die das Leid von Zivilisten lindert und Blutvergiessen vermeidet», sagte er.
Wegen der Angriffe in Aleppo stecken mittlerweile rund 64'000 syrische Flüchtlinge an der Grenze zu Jordanien fest, wie der jordanische Grenzschutz mitteilte. Zu den Flüchtlingen an den Grenzübergängen Rokban und Hadalat kämen immer mehr hinzu.
Doppelanschlag
Aus der zentralsyrischen Provinz Homs wurde am Donnerstag ein Doppelanschlag gemeldet. Durch einen Selbstmordanschlag und eine anschliessende Explosion einer Autobombe in der Ortschaft Machram Faukani wurden laut Beobachtungsstelle mindestens zwölf Menschen getötet und 40 weitere Menschen verletzt.
Das Staatsfernsehen berichtete von mindestens sechs Todesopfern und 28 Schwerverletzten. Zu der Tat bekannte sich zunächst niemand. Selbstmordanschläge werden allerdings insbesondere vom IS verübt.
Auch in anderen Teilen Syriens hielten die Gefechte an. Extremisten der Miliz Islamischer Staat (IS) nahmen eigenen Angaben und Beobachtern zufolge das wichtigste Gasfeld im Osten des Bürgerkriegslandes ein. Es wäre ihr wichtigster Geländegewinn in der Region seit der Niederlage in der antiken Wüstenstadt Palmyra im März.
afp/sda/mch
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