«Anders als vor 8 Jahren sind die Banken vorbereitet»
Die neue Woche beginnt für die Finanzmärkte unruhig. Der britische Finanzminister sah sich zu einer Erklärung noch vor Börsen-Eröffnung gezwungen.

Das Pfund verliert, der Ölpreis fällt, die Vorbörsen im Minus: Der britische Finanzminister George Osborne rechnet nach dem Brexit-Votum mit anhaltenden Turbulenzen an den Finanzmärkten. Sein Land könne die schwierige Herausforderung aber meistern, sagte Osborne am Montag.
«Unsere Wirtschaft ist so stark wie nötig, um sich der Herausforderung zu stellen, die auf unser Land jetzt zukommt», erklärte der Minister in seiner ersten Rede seit dem Brexit-Votum. Die Regierung habe Massnahmen vorbereitet, um damit fertig zu werden.
Osborne versicherte in seiner Rede, dass die britischen Behörden einen robusten Notfallplan in petto hätten. Zudem betonte er, dass Grossbritannien nun weder Europa noch dem Rest der Welt den Rücken kehren sollte.
Osborne weist Forderungen zurück, nun auch rasch den formellen Austrittsantrag vorzulegen. Die britische Regierung könne das Verfahren gemäss Artikel 50 des EU-Vertrags erst «auslösen», wenn sie dazu bereit sei und «klare Vorstellungen» über den weiteren Weg habe. «Nur das Vereinigte Königreich kann Artikel 50 auslösen», sagte der konservative Politiker in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme seit dem Brexit-Votum der Briten am Donnerstag. «Meiner Meinung nach sollten wir das erst tun, wenn wir eine klare Vorstellung von den neuen Regelungen haben, um die wir uns mit unseren europäischen Nachbarn bemühen.» Die Austrittsverhandlungen können erst nach dem offiziellen Austrittsgesuch können beginnen.
Seit dem Brexit-Votum wird Grossbritannien von EU-Vertretern und den Regierungen anderer Mitgliedstaaten gedrängt, das formelle Austrittsgesuch rasch einzureichen. In Brüssel wird jedoch nicht damit gerechnet, dass Cameron das Gesuch bereits beim EU-Gipfel am Dienstag einreicht. Cameron hat seinen Rücktritt bis Oktober angekündigt und will den Schritt seinem Nachfolger überlassen.
Von Journalisten wird Osborne gefragt, ob er zurücktritt:
Pfund rutscht wieder Richtung 31-Jahres-Tief ab
Der Brexit-Schock hat den Devisenmarkt weiter fest im Griff. Das britische Pfund geriet am Montagmorgen im asiatischen Handel erneut unter Druck.
Ein Pfund kostete zuletzt rund 1,34 Dollar und damit nur etwas mehr als am Freitagmorgen, als die britische Währung wegen des für die Finanzmärkte überraschenden Brexit-Votums innerhalb weniger Stunden von 1,50 Dollar auf das 31-Jahres-Tief von 1,3329 Dollar gefallen war. Von diesen massiven Verlusten konnte sich das Pfund im Handelsverlauf erholen und ging dann mit Notierungen von knapp 1,37 Dollar ins Wochenende.
Die Schweizer Vorbörse zeigt ebenfalls rote Kurse an. Der SMI steht bei - 1,4 Prozent. Die Titel der Grossbanken Credit Suisse und UBS verlieren rund 2,5 Prozent.
Diplomat: Grossbritannien wird möglicherweise nie den EU-Austritt erklären
Grossbritannien wird nach Einschätzung eines ranghohen EU-Diplomaten «möglicherweise nie» den Austritt aus der Europäischen Union erklären. «Ich würde nicht ausschliessen, und das ist meine persönliche Überzeugung, dass sie es vielleicht nie tun werden», sagte der Diplomat am Sonntagabend in Brüssel. Er erklärte nicht, ob er davon ausgehe, dass Grossbritannien stattdessen ein erneutes Referendum über die EU-Mitgliedschaft abhalten oder aber den Trennungsprozess mit der EU ewig herauszögern werde, um den bestmöglichen Deal für sich herauszuschlagen.
Im Bild – Brexit und der Schock danach:
Nach dem britischen Austrittsvotum drängen zahlreiche EU-Vertreter Grossbritannien, rasch das formelle Austrittsgesuch einzureichen. In Brüssel wird jedoch nicht damit gerechnet, dass der britische Premier David Cameron das Gesuch bereits bei dem EU-Gipfel am Dienstag einreicht. Cameron hat seinen Rücktritt bis Oktober angekündigt und will den Schritt seinem Nachfolger überlassen.
Der EU-Diplomat berichtete, seit dem Brexit-Referendum seien bei der EU tausende E-Mails von Briten eingegangen, die das Ergebnis bedauerten - darunter etliche von Leuten, die für den Ausstieg aus der EU gestimmt hätten und dies nun bereuten. «Das ist das erste Mal nach einem Jahrzehnt der Hass-Mails aus Grossbritannien, dass wir mit Liebes-Mails überflutet werden», sagte er.
Migration «den Bedürfnissen von Wirtschaft» anpassen
Inzwischen hat sich David Camerons Gegenspieler Boris Johnson in einem Zeitungsartikel geäussert. Grossbritannien werde nach seiner Einschätzung auch nach dem Votum für einen Austritt aus der EU Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben. Die Rechte der EU-Bürger im Land würden geschützt.
«Es wird weiterhin freien Handel und Zugang zum Binnenmarkt geben», schrieb Johnson in einem Beitrag für die Zeitung «Daily Telegraph». Die in Grossbritannien lebenden EU-Bürger werden ihre Rechte in vollem Umfang geschützt sehen, versicherte der Anwärter auf die Nachfolge des Premierministers David Cameron, der nach dem Austrittsvotum seinen Rücktritt bis Oktober angekündigt hatte.
Johnson widersprach auch Analysen, wonach die Migrationsfrage der entscheidende Faktor für das Austrittsvotum gewesen sei. Allerdings müsse die künftige Migrationspolitik «den Bedürfnissen von Wirtschaft und Industrie» angepasst werden.
«Keine grosse Eile»
An den Finanzmärkten ist die Spannung gross, ob Johnson tatsächlich neuer Regierungschef wird, wie seine Pläne für die Zeit nach einem Austritt Grossbritanniens aus der EU aussehen und wie sich der Brexit auf den Handel mit dem Rest der Welt auswirkt.
Johnson schrieb weiter, es bestehe «keine grosse Eile» für das Vereinigte Königreich, seinen Austritt aus der Europäischen Union zu erklären. Details nannte Johnson nicht. Die negativen Folgen eines Austritts aus der EU würden «weit übertrieben», schrieb Johnson.
Notenbank-Chef soll bleiben
«Die Wirtschaft ist in guten Händen», lobte er seine Parteifreunde Cameron und Finanzminister George Osborne. Notenbankchef Mark Carney, der vor dem Referendum vor den Risiken eines Brexits gewarnt hatte und deshalb in die Kritik geriet, solle auf seinem Posten bleiben, empfahl Johnson. Carney habe «grossartige Arbeit» geleistet.
Parteiinterne Kritik musste nach dem Brexit der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn einstecken. Trotzdem hat er einen Rücktritt ausgeschlossen. Er bedauere, dass mehrere Mitglieder seines Schattenkabinetts zurückgetreten seien, erklärte der Oppositionsführer in der Nacht zum Montag. Er werde jedoch «nicht das Vertrauen derjenigen enttäuschen, die mich gewählt haben». Wer die Parteiführung ändern wolle, müsse sich darum in einer demokratischen Wahl bewerben - «bei der ich kandidieren werde», betonte Corbyn.
Misstrauensvotum bei Labour
Corbyn hatte in der Nacht zum Sonntag seinen Schatten-Aussenminister Hilary Benn entlassen, nachdem dieser seine Parteiführung heftig kritisiert hatte. Daraufhin erklärten elf weitere Mitglieder des Schattenkabinetts ihren Rücktritt.
Auslöser der Rücktrittswelle war die Kritik an Corbyns Kampagne für einen Verbleib Grossbritanniens in der EU. Viele Vertreter des rechten Flügels warfen dem Labour-Chef vor, nur halbherzig für den Verbleib geworben und damit viele Wähler aus dem eigenen Lager nicht überzeugt zu haben.
Zwei Labour-Abgeordnete legten einen Misstrauensantrag gegen Corbyn vor. Dieser dürfte eine Fraktionssitzung von Labour am Montag dominieren.
dapd/cpm
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