Auf Spritztour mit Autoposern«Andere gehen in die Ferien oder shoppen. Mich interessieren nur Autos»
Emin und seine Freunde verwenden viel Geld und Liebe auf ihre mindestens 500 PS starken Gefährte. Von der Polizei fühlen sie sich schikaniert, von den Medien missverstanden. Unsere Reporterin durfte trotzdem mitfahren.

Das Folienzentrum Dielsdorf liegt in einer Gegend, an der man vorbeifährt, wenn nicht gerade das Zürich Openair oder das alljährliche Pferderennen stattfindet. Für eine Gruppe von Männern ist dieser Ort jedoch der Lebensmittelpunkt. Hier lassen sie ihre Autos tunen, damit ihr Fahrzeug besser aussieht und besser tönt. Oder sie lassen auffällige Folien auf die Karosserie kleben, weil sie Lust auf eine neue Farbe haben, einen neuen Style.
Als ich mich dem Eingang der Werkstatt nähere, stehen da etwa zehn Autos, alle mit mindestens 500 PS. Und daneben ihre zehn Besitzer. Ein grosser Mann streckt mir die Hand entgegen und stellt sich als Emin vor. Er trägt Sonnenbrille und ein T-Shirt mit der Aufschrift AMG, das ist die Luxus-Tochter von Mercedes. Emin ist der Leiter der Werkstatt. Obwohl er wenig Vertrauen in die Medien hat, empfängt er mich heute. Nicht zuletzt, weil er sich davon etwas Werbung für sein Geschäft verspricht.
Er kommt gleich zur Sache, ohne Vorgeplänkel: «Wir investieren extra viel Geld, damit nichts illegal ist. Aber trotzdem wird dein Auto sichergestellt. Und du tauchst in den Medien als Poser auf.» Emin und seine Kollegen fühlen sich ungerecht behandelt. Von der Polizei, von den Medien, von der Schweiz. In den Augen der anderen sind sie Autoposer. Sie selber würden sich nie so bezeichnen. Und da fängt das Problem schon an.
Es ist Mai 2021, unser erstes von insgesamt fünf Treffen. Während eineinhalb Jahren werden Emin und ich uns sporadisch sehen. Wir machen Ausfahrten, besuchen sogenannte Tunertreffen, rauchen Shisha und reden. Mit dabei sind meistens zwei seiner besten Freunde: Arash und Salim. Sie alle sind um die dreissig Jahre alt und gut gebaut. Ihr Leben dreht sich ums Auto. Fast alles, was sie verdienen, geben sie dafür aus, pflegen es, als sei es ihre kranke Mutter. Doch ihre Liebe zu starken Motoren und knalligen Karosserien bereitet ihnen Probleme.
Im Nachhinein lässt sich genau sagen, wann die Beziehung zwischen Polizei, Medien und Autoposern toxisch wurde: Am 27. April 2020.
Als die Corona-Pandemie die Schweiz erfasste, lernte das Land ein neues Wort: Autoposer. Die Zeitungen berichteten, wie Polizisten leistungsstarke Autos auseinanderschraubten oder Ansammlungen auf Parkplätzen auflösten. Während für das Jahr 2019 in der Schweizerischen Mediendatenbank gerade mal 19 Treffer mit dem Stichwort «Autoposer» auftauchen, sind es für das darauffolgende Corona-Jahr 919 Ergebnisse.
Das Bild, das dem gemeinen Steuerzahler gezeichnet wurde, war klar: Diese Männer sind laut, sie sind jung, und sie sind irgendwie fremd. Und sie verstossen gegen die geltenden Gesetze.
Aber tun sie das wirklich?
Im Nachhinein lässt sich genau sagen, wann die Beziehung zwischen Polizei, Medien und Tunerszene toxisch wurde: Am 27. April 2020 verfasste der Winterthurer Stadtpolizeisprecher Michael Wirz eine Medienmitteilung: «In letzter Zeit häuften sich bei der Stadtpolizei Klagen aus der Bevölkerung über Autolenkerinnen und Autolenker, die der sogenannten ‹Autoposer-Szene› zuzuordnen sind.»
Gemäss Wirz sei die Wortkreation «Autoposer» durch einen Verkehrspolizisten aus Winterthur entstanden. Der Polizist habe «nach einem treffenden Wort im Netz gegoogelt» und sei in Deutschland fündig geworden. Allmählich verbreitete sich der Begriff in den Zürcher Korps. Der Autoposer war geboren.
«Wer uns als Autoposer bezeichnet, ist ein richtiger Hurensohn.» Das sagt Salim. Seine Haare sind perfekt frisiert, sein Unterarm ist volltätowiert mit Rosen.
Vor dem Folienzentrum in Dielsdorf fährt ein Auto vor, es ist ein Mercedes S63 Coupé, dessen Oberfläche aus Tausenden kleinen Glitzerplättchen besteht und aussieht wie ein fahrender Diamant. Ein Mann steigt aus. Er trägt eine Versace-Brille, Versace-Sneakers, knielange Jeans und eine dicke Goldkette. Auf seinem T-Shirt ist der Drogenbaron Pablo Escobar abgebildet. Das gleiche Gesicht ist auf seine Wade tätowiert.

«Ah, lueg dä Escobar», sagt Emin. Und dann zu mir: «Er ist ein Gescheiter, imfall. Er hat Marketing studiert.» Der Gescheite heisst Arash und ist ein guter Freund und Kunde von Emin. Das Diamantauto hat ihm Emin vor ein paar Monaten selbst foliert. Etwa 10’000 Franken hat Arash dafür bezahlt. Schweizweit, sagt Emin, sei seine Garage die einzige, die das könne.
Ich steige in Emins giftgrünen Mercedes, und wir fahren durch Zürichs Agglo. Alles im Innern des Autos ist blitzblank geputzt und aufgeräumt, die Temperatur auf angenehme 22 Grad heruntergedreht. Das Lenkrad ist mit Wildleder bezogen. 800 Franken hat Emin allein dafür bezahlt.
Als Automech, sagt er, baue er sein Auto meistens selbst um. Er hat mehrmals neue Folien darübergelegt, die Felgen gewechselt, Frontlippen aus Carbon montiert. Das alles hat mehrere Zehntausend Franken gekostet. Zudem zahlt er jeden Monat 1000 Franken fürs Leasing des 66’000 Franken teuren Mercedes AMG. «Ich will auffallen», sagt Emin. «Aber nicht auf die illegale Art. Ich will ja nicht, dass mein Auto nur bei der Polizei rumsteht.»
«Die Menschen auf den Trottoirs drehen sich nach uns um. Genau darum geht es», sagt Emin. «Das beste Gefühl ist, wenn Leute dir den Daumen zeigen oder kleine Jungs grosse Augen machen.» Er drückt sanft aufs Gas, der Motor heult wie ein Tiger mit Halsweh. Ich werde in den Sitz gedrückt, das Herz macht einen kleinen Sprung, wie damals, als ich zum ersten Mal Achterbahn fuhr. «Weisst du, mich interessieren nur Autos», sagt er weiter. «Andere gehen ins Wellness, in die Ferien oder shoppen.»
Auch ein Auto auf Pump muss man sich leisten können
Jedes Wochenende haben Emin und seine Jungs das gleiche Programm: Sie machen ab, fahren rum, halten an einer Tankstelle, trinken Red Bull, fahren wieder rum, machen Fotos von ihren Autos, laden die Fotos auf Instagram und gehen dann in eine Shisha-Bar. Doch praktisch jedes Mal, so sagt es Emin, werden sie dabei von der Polizei kontrolliert.
Wir biegen auf einen abgelegenen Parkplatz ein, etwa fünfzehn Minuten von Emins Garage entfernt. Als wir ankommen, sind Salim mit dem Rosentattoo und Arash mit dem Diamantauto bereits da. Standardmässig wird zuerst geflext, das heisst, es werden Fotos gemacht.
Emin erzählt: Seit fünf Jahren arbeitet er als Automech in Dielsdorf. Seine Freunde sagen scherzhaft, er wechsle die Farbe seines Autos wie seine Unterhosen. Man kennt ihn in der Szene, auf Instagram folgen ihm fast 10’000 Leute. Arash und Salim sind ähnlich berühmt.
Emin sagt: «Mein Cousin ist neunzehn Jahre alt, verdient 4200 Franken und least ein Auto für 1000 Franken pro Monat.»
Ich bitte Emin, mir seine Szene zu erklären. Wer sind diese Leute, die bei ihm Tausende Franken für ihr Auto ausgeben? «Alle», sagt er und meint: Reich und arm, männlich und selten auch weiblich. «Alle wollen diesen Lifestyle leben, aber nicht alle können ihn sich leisten», sagt Emin. «Sie probieren dann, krumme Dinger zu drehen. Und dann muss ich ihnen sagen: Machs nur, wenns in deinem Budget liegt.»
Grund für die Misere sei das «Leasingzeug». Die meisten kaufen ihr Auto auf Pump und zahlen es in Raten ab, die hoch verzinst sind. Ein lukratives Geschäft für Autohändler. Waren es früher vor allem Reiche, die sich einen Maserati, einen AMG oder einen Ferrari leisten konnten, sind es heute auch Büezer.
«Wenn du die richtigen Kontakte hast, kommst du auch mit Betreibungen an ein fettes Auto», sagt Emin. «Mein Cousin ist neunzehn Jahre alt, verdient 4200 Franken, wohnt zu Hause und least ein Auto für 1000 Franken pro Monat. Das ist aber nicht das Problem. Das Problem ist der Unterhalt.» Reifen, Service, Versicherung, Reparaturen, das koste im Monat nochmals 500 Franken.
Wie bei der Mode gibt es auch bei den Autoteilen zahlreiche Kopien und Fälschungen. «Auf Wish kannst du ein ganzes Auto bestellen», ruft Salim, nachdem er sein Fotoshooting beendet hat. «Ich hätte 6000 Franken sparen können, wenn ich alles aus dem Ausland bestellt hätte. Aber ich dachte: Lieber bezahlst du und hast deine Ruhe.» Emin nickt. «Wenn du für ein Ersatzteil keine Papiere hast, kommst du bei der Fahrzeugprüfung nicht durch.»
Einige hören auf ihn, einige nicht. Grundsätzlich darf ein Mech alles an einem Auto machen – auch illegale Manipulationen wie das Aushöhlen des Auspuffs. Theoretisch muss er dem Kunden nur sagen, dass dieses Auto danach nicht mehr auf der Strasse gefahren werden darf. Es dürfte eigentlich nur noch mit dem Abschleppwagen transportiert werden. Fährt ein Kunde trotzdem damit herum und wird erwischt, ist das sein Problem.
Es gibt Werkstätten, die damit werben, den Auspuff so zu verändern, dass er Feuer speit. Oder dass sie Manipulationen durchführen können, die bei einer Polizeikontrolle nicht bemerkt werden. Der Codename dafür lautet: «Windschutzscheibe wechseln». Wer sein Auto illegal frisiert hat und wer nicht, lässt sich für einen Laien kaum erkennen.

Arash mit dem Diamantauto ist ein gutes Beispiel. Seine Freunde sind sich einig: «Wenn du mit Arash in die Stadt gehst, wirst du von jedem angeschaut, jeder gibt dir eine Rückmeldung.» Aber nicht immer ist die Rückmeldung positiv.
Letzte Woche, erzählt Arash, habe die Polizei ihm zwei Mal hintereinander ein Rayonverbot für die Stadt Zürich erteilt. Er durfte während vierundzwanzig Stunden nicht mehr in die Stadt fahren. «Ich wollte nur schnell zum Kollegen», sagt Arash. «Als die Polizei mich sah, nahm sie mich raus. Ich würde zu viele Leute anziehen. Am nächsten Tag wurde ich wieder rausgenommen vom genau gleichen Polizisten. Er gab mir nochmal 24 Stunden und drohte mit einer Busse, falls ich wiederkommen würde. Die Begründung: Mein Auto sei zu auffällig.»
Arash wird immer wütender, während er erzählt. Natürlich sei sein Auto auffällig, das ist ja auch sein Businessmodell: Er vermietet es. Diamond Supercars heisst seine Firma, zwischen 600 und 700 Franken pro Tag kostet der fahrende Diamant. Man least dann quasi das 120’000 Franken teure Auto, welches von Arash ebenfalls geleast wird.
Er drückt mir einen Prospekt in die Hand. Darin sind Fotos von seinem Auto vor dem Luxushotel Dolder, vor einer Villa und so weiter. Und alle Details der Innenausstattung. «Die meisten, die das Auto bei mir mieten, wollen einfach flexen», sagt Arash. Manchmal bekomme er Anfragen von Rappern oder Influencern, die das Auto für einen Videoclip benutzen wollen. Das Geschäft boome.
«Wenn dir jemand sagt, du hast ein geiles Auto, dann weisst du, dass du alles richtig gemacht hast», sagt Arash.
«Bei Arash ist das Business», sagt Salim mit dem Rosentattoo. «Aber uns gehts um die Anerkennung aus der Szene.» Emin nickt.
Die Tricks der Autobauer und die Kniffe der Poser
Später bin ich im tiefsten Thurgau, im Industriegebiet am Rande Frauenfelds. Mir gegenüber sitzt Philipp Fisch. Er ist vierundfünfzig Jahre alt, ursprünglich Automech und leitet heute die Abteilung «Prüfungen» im Strassenverkehrsamt Thurgau.
Er und sein Team sind dafür zuständig, Änderungen an Autos gesetzlich zu prüfen und abzunehmen. Zusätzlich begleiten seine Verkehrsexperten die Polizei regelmässig bei Kontrollen, zum Beispiel wenn diese wieder einmal eine «Grossaktion» gegen Poser durchführt.
Er holt einen Stapel Papiere hervor, auf dem Paragraf für Paragraf alle Gesetze und Statistiken aufgelistet sind, die «Autoposer» betreffen.
Im Corona-Jahr 2020 hat sich Fisch ausführlich mit dem Thema beschäftigt. Damals wurden er und sein Vorgesetzter zusammen mit Vertretern der Polizei und anderen an einen Workshop des Bundesamtes für Umwelt eingeladen, weil es sehr viele Lärmklagen aus der Bevölkerung gab.
Fährt das Auto im «Sport-Modus», dröhnt der Auspuff rasch einmal mit über 120 Dezibel – so laut wie ein Presslufthammer.
Fisch blättert im Dossier. Das Problem, sagt er, sei immer das gleiche: Das Gesetz könne mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt halten. Und zwar aus zwei Gründen. Die Hersteller haben Tricks erfunden, mit denen sie das gängige Messverfahren umgehen. Während der Messung zum Beispiel reagiert die Elektronik des Autos und lässt die Klappe des Auspuffs zu, im normalen Verkehr hingegen ist sie offen und das Auto laut. Durch diesen «Messmodus-Trick» werden die Autos immer lauter – und das ganz legal.
Entwickelt wurde dieses Klappensystem, weil laute Autos beliebt sind. Die Hersteller stecken jährlich Millionen in hauseigene Geräuschlabore. Wie klingt das Auto, wenn die Türe sich öffnet? Wie klingt der Motor, wenn das Auto beschleunigt? All diese scheinbar unscheinbaren Details werden penibel genau konzipiert. Rund fünf Prozent der Entwicklungskosten eines Autos entfallen mittlerweile auf das Sounddesign.
Heute wird das Klappensystem in praktisch jedem neuen Sportwagen verbaut. Fährt das Auto in einem Modus, wo das Klappensystem geöffnet ist (Codename: «Sport-Modus» oder «Emotional Start»), dröhnt der Auspuff rasch einmal mit über 120 Dezibel – so laut wie ein Presslufthammer – oder rattert wie die Schüsse eines Maschinengewehrs. «Im Prinzip dürfen sie so einen Modus, wenn er denn legal ist, nur in der Pampa oder im unbewohnten Gebiet anwenden», sagt Philipp Fisch. «Sonst ist es Lärmbelästigung und kann gebüsst werden.»
Mit einer Software kann ein Fahrer sein Auto auch selbst so manipulieren, dass es mehr Leistung hat und lauter wird. Auch dieser «Software-Trick» ist, wenn vom Strassenverkehrsamt abgenommen, theoretisch legal.
Schraubt jemand die Leistung seines Autos hoch, ohne das beim Strassenverkehrsamt eintragen zu lassen, und wird dabei erwischt, kann es teuer werden – Fisch spricht von einigen 10’000 Franken. «Deswegen geben die meisten eine Manipulation auch vor Ort zu», sagt Fisch. Aber es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Denn der Fahrer kann am nächsten Tag die manipulierte Software mit einem Klick wiederherstellen.
Zurzeit revidiert der Bundesrat das Strassenverkehrsgesetz. Personen, die wiederholt absichtlich grossen Lärm erzeugen, sollen härter bestraft werden.
Die wesentlich günstigere, aber verbotene Variante, ein Auto wie eine durchgeknallte Motorsäge klingen zu lassen, ist das, worüber sich die Schweiz während Monaten genervt hat: den Auspuff aushöhlen. Mit ein paar Handgriffen und ein bisschen handwerklichem Geschick kann das jeder selbst machen.
Fischs Fazit: Es gebe genug griffige Gesetze. Theoretisch. Denn auch ein lautes Auto könne man leise fahren. Doch weil heute sogar legal genehmigte Autos übermässig Lärm machen, werde die Arbeit der Behörden zunehmend komplexer. «Menschen wollen geliebt werden, und wenn sie nicht geliebt werden, wollen sie wenigstens Beachtung haben.»
Immerhin gab es letztes Jahr einen Lichtblick für Lärmgeplagte: Im Juli 2022 wurden die Zulassungsbedingungen verschärft. Nun muss ein Auto in jedem Modus etwa gleich laut sein. Somit sollen der «Messmodus-Trick» ausgehebelt und die Autohersteller gezwungen werden, leisere Fahrzeuge zu produzieren.
Auch für Tuner wird es möglicherweise ungemütlicher. Zurzeit revidiert der Bundesrat das Strassenverkehrsgesetz. Personen, die wiederholt absichtlich grossen Lärm erzeugen, sollen härter bestraft werden. Lärmt ein Autoposer nach einer Verwarnung innerhalb von zwei Jahren erneut herum, wird ihm der Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen. Die Vernehmlassung dauert noch bis im März 2023.
Feuerspeiende Auspuffe und Latinomusik
Seit dreissig Jahren wohnt Emin, der Folienmeister, in Seebach. Sein Stammlokal ist die Shisha-Bar Kult in Oerlikon. Im Volksmund wird der Ort auch «Balkanstrasse» genannt, weil sich Shisha-Bar an Shisha-Bar reiht, schnelle Autos ihre Runden drehen und man hier vor allem Migrantinnen und Migranten antrifft. Fast täglich kommt Emin hierher. Alle scheinen ihn zu kennen. Der Besitzer der Bar sagt: «Emin kam schon mit vierzehn zu mir, um Shisha zu rauchen.»
Unser zweites Treffen ist an einem Samstag Anfang Juni 2021. Als ich ankomme, ist er schon da und raucht einen Kopf, Geschmack «Mi Amor» mit Traube. Er hat heute den ganzen Tag gearbeitet. «Teilfolierungen, Offerten.» Er will mich an ein illegales Autotunertreffen in Wollerau mitnehmen. Er sagt: «Ein paar Jungs sind vorausgefahren und geben Bescheid, ob die Polizei schon da ist.»
Wir trinken eine Limo mit Himbeergeschmack und warten auf Salim. Arash wird heute nicht mitkommen, er hat sein Diamantauto vermietet.
Ob die Polizei beim Tunertreffen anwesend sein wird, frage ich. «Hundert Prozent», sagt Emin. In den letzten zwei Tagen habe die Polizei dutzende Autos kontrolliert.
Das Treffen an sich ist schon illegal, weil es keine Bewilligung dafür gibt. Zudem ist klar, dass einige Teilnehmer ihr Auto rechtswidrig getunt haben. Wieso also manipulieren diese Leute ihre Autos, wenn sie doch wissen, dass sie sehr wahrscheinlich von der Polizei erwischt werden?
Emin geht nicht auf die Frage ein und erzählt stattdessen: «Das mit dem Auspuff aushöhlen hat etwa 2016 angefangen», sagt Emin. «Seither wollen die meisten, dass ihr Auto immer lauter wird. Es ist ein Teil des Feelings. Wenn der Auspuff ausgehöhlt ist, hörst du das Blech. Dann schreit er richtig.» Auch für Emin ist das Musik. Darum würde er sich nie ein Elektroauto kaufen. «Mein Auspuff klingt rau, bullig. Das finde ich einfach geil.»

Emin bekommt eine Nachricht von Salim. «Er kommt direkt», sagt Emin. «Gömmer Wollerau.»
Die Zusammenkunft wird von der Gruppe Autotreff ZH organisiert, einer Community von Autotunern, die sowohl in der Szene als auch bei der Polizei bekannt ist. Ein Polizist hat mir erzählt, dass die Polizei solche Communitys über Instagram beobachte. Entsprechend sind illegale Posertreffen nicht sehr langlebig.
Auf der Autobahn überholt uns der blaue Mercedes von Salim. Mal überholt Emin, mal Salim, mal fahren sie auf gleicher Höhe, aber nie zu schnell. Emin sagt: «Das hier ist das beste Gefühl. Wenn ich mit den Kollegen auf der Strasse fahre.» «Wieso?», frage ich. Er sagt nichts.
«Als ich in die Schweiz kam, haben mich die Eltern gleich in die Deutschschule gesteckt», sagt Emin. «Das war am Anfang schlimm. Ich war eher scheu, viele haben mich gemobbt.»
Manchmal ist es schwierig, mit Emin zu reden. Worte liegen ihm nicht besonders. Wenns um Autos geht, könnte er zwar stundenlang erzählen. Aber er sagt auch oft das Gleiche.
Emins Mutter ist Türkin und wuchs in Frankreich auf. Er ist hier geboren, wurde aber von seinen Eltern als kleines Kind in die Türkei geschickt. Mit acht Jahren kehrte er zurück in die Schweiz. Und blieb.
«Als ich in die Schweiz kam, haben mich die Eltern gleich in die Deutschschule gesteckt», sagt Emin. «Das war am Anfang schlimm. Ich war eher scheu, viele haben mich gemobbt.»
Beide Eltern arbeiteten Vollzeit, um ihn und seine Schwester durchzubringen. Der Vater verkaufte Elektromaterial, die Mutter schuftete bei der Swissair in der Bodenreinigung.
Emin ist in Glattbrugg bei Opfikon aufgewachsen, in einem Migrantenquartier. Der Ausländeranteil in der Gemeinde liegt bei 45 Prozent. Doch weil seine Familie etwas abseits wohnte, kam er nicht mit seinen Freunden ins gleiche Schulhaus. «In meiner Schule waren nur Schweizer. Mit denen bin ich aufgewachsen.»
Salim überholt, Emin drückt aufs Gaspedal und überholt erneut. Dann fährt er fort: «Irgendwann gewöhnst du dich daran. Also an das Mobbing. Aber es hat sich eingeprägt. Mit sechzehn Jahren habe ich es den Mobbern dann zurückgezahlt. Ich war halt sehr gross. Und irgendwann, bam, bam, gab ich ihnen zwei Flättern. Du kennst es ja.»
Fast all seine Freunde hat Emin in der Autoszene kennen gelernt. Seit er in der Garage in Dielsdorf arbeitet, geht es ihm gut, auch finanziell. Das war nicht immer so.
Heute hat Emin mit den Leuten aus der Schulzeit nichts mehr zu tun. «Weisst du, wir leben in einem Land, in dem jeder etwas hat. Jemand hat vielleicht mehr, jemand weniger, aber das ist keine Armut in dem Sinn. Und dann gabs halt Leute, die besser in der Schule waren oder einen Uni-Abschluss gemacht haben. Und die haben immer erzählt: Ich verdiene so viel, ich hab mir das gekauft. Ich dachte immer: Schön für dich, aber was interessierts mich? Immer angeben, immer so tun, als wäre man etwas Besseres.»
Salim überholt von der anderen Seite. Emin ignoriert ihn und erzählt weiter: «Das Auto war auch so was. Ich hatte eigentlich gar nicht vor, mir so ein Auto zu kaufen. Damals hab ich mir gesagt: Maximum 40’000 Franken gebe ich aus. Aber weisst du, ich habe viele schlechte Zeiten erlebt. Und jetzt geht es mir gut. Da dachte ich: Ich gönne mir auch mal etwas.»
Emin überholt Salim. «66’000 Franken hat dieses Auto gekostet. Ich hab 15’000 Franken angezahlt, und jetzt habe ich eine tiefe Leasingrate. Ich habe hart gearbeitet, um das tun zu können.»
Um sich den Unterhalt des Boliden zu finanzieren, muss Emin sechs Tage pro Woche arbeiten. «Manchmal denke ich mir schon: Das Geld könnte ich sparen oder damit in die Ferien gehen.»
Fast all seine Freunde hat Emin in der Autoszene kennen gelernt. Seit er in der Garage in Dielsdorf arbeitet, geht es ihm gut, auch finanziell. Doch das war nicht immer so. «Die schlechten Zeiten will ich nicht wieder erleben», sagt er. «Ich hatte solche Phasen, wo ich nichts verdient habe. Nur hängen, hängen, hängen.»
Wir fahren in einen Tunnel, es dröhnt.
«Ich war frisch verheiratet und hatte 65’000 Franken Schulden. Ich hatte meinen Job verloren, wollte Geld investieren und wurde verarscht. Ich musste aufs RAV und wurde sechs Monate lang blockiert. Klar, ich habe meine Sachen auch nicht erledigt. Dummheit, halt. Einfach dumm. Dann habe ich angefangen, Tag und Nacht zu arbeiten.
In der Nacht war ich Kurier, hab Zeitungen verteilt. Am Tag habe ich beim Kollegen in der Garage ausgeholfen. Dort habe ich dann Mech gelernt. Und am Sonntag ging ich Gebäude reinigen, für ein paar Franken. Scheissegal. Ich habe Vollgas gegeben und innerhalb von eineinhalb Jahren alle Schulden zurückgezahlt.»

Das war mit fünfundzwanzig. Heute ist Emin einunddreissig Jahre alt und immer noch verheiratet. «Ich vertraue niemandem mehr. Nicht einmal der eigenen Familie. Ich mach mein Ding. Ich verleihe nichts und mache keine Schulden. Wie viel hast du diesen Monat? So viel kannst du ausgeben. Wenns nicht reicht, esse ich halt nichts oder gehe nicht aus. Aber alles ist bezahlt.»
«Aber das Auto», sage ich, «das ist doch ein Widerspruch!» «Das widerspricht sich in dem Sinn schon», sagt Emin. «Aber das ist meine Leidenschaft, weisst du. Ich habs kalkuliert, das liegt im Budget.»
Wir nähern uns Wollerau. Von weitem schon sehe ich, wie sich bei der Abzweigung zur Autobahnraststätte Bolide an Bolide staut. Es sind so viele, dass sich die Schlange bis hinaus auf die Autobahn erstreckt.
Als wir endlich reinfahren können, weist uns jemand einen Parkplatz zu. Wir steigen aus und Salim kommt uns entgegen: «Minchia, wo sind wir hier? An einer türkischen Hochzeit?»
Wir laufen herum, Salim und Emin grüssen hier und dort. «Wo haben wir uns schon mal gesehen? Ah, ich war bei dir Haare schneiden», sagt einer zu Salim. Beide lachen.
«Wenn du Dominikaner bei Wish bestellst», sagt Salim scherzhaft und zeigt auf eine Gruppe Männer, die eine Musikanlage in ihren Kofferraum eingebaut haben und laut Latino-Musik laufen lassen. Einige haben Campingstühle dabei, einer zündet sich eine Shisha an. Andere fahren mit kleinen Bobbycars herum. Einer ist mit einem Oldtimer gekommen. Die Stimmung ist wie auf einem Festival.
Jemand hupt sehr laut – das ist der Startschuss zu einem «Gäsele-Duell». Etwa zehn Boliden schnurren um die Wette. Die Fahrer drücken aufs Gaspedal, die Motoren heulen auf, die Räder schlagen aus und hinterlassen schwarze Spuren auf dem Asphalt. Plötzlich speit aus einem Auspuff Feuer. «Ja, der Auspuff ist gemacht», sagt Emin und muss lachen.
Das Gäselen steckt an. Nun knallt aus jeder Ecke ein anderer Auspuff. Es klingt wie auf einem Schiessstand. «Jep, das ist illegal», sagt Salim und fängt auch an zu lachen.
Eine Traube Leute versammelt sich um den speienden Auspuff, sie filmen und johlen.
Das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei
Seit unserer Ankunft sind etwa fünfzehn Minuten vergangen. Jetzt trifft die Polizei ein. Eine Frau und ein Mann in Montur. Sie wirken unbeholfen, schauen sich um, sprechen in ihre Funkgeräte.
«Sie holen Verstärkung», sagt Emin. «Kommt, wir gehen lieber.» Emin hastet zurück zu seinem grünen Mercedes. Er wirkt nervös.
Emin gibt Gas, um es auf die Autobahnausfahrt zu schaffen, bevor die Kontrollen beginnen. Salim, der vor ihm fährt, kann gerade noch durchschlüpfen, aber Emin wird von dem Polizisten rausgewunken.
Polizist: «Guten Abend, Motor abstellen, und dann müsste ich ihren Fahrausweis haben.»
Emin hat alles hinten im Kofferraum. Er steigt aus, holt die Papiere und reicht sie dem Polizisten.
Polizist: «Was machen sie auf dem Rastplatz?»
Emin: «Ich hab angehalten, um zu Pissen. Ich bin in Begleitung.»
Polizist: «Ist das Ihr Auto?»
Emin: «Ja.»
Polizist: «Haben Sie Änderungen gemacht?»
Emin: «Ja.»
Polizist: «Eingetragen?»
Emin: «Ja.»
Er schaut sich die Dokumente an.
Polizist: «Ja, sind halt chli viel Autos, hä.»
Emin erklärt, dass nun alle, die hier sind, registriert werden. Die Polizei will schauen, wer regelmässig zu solchen Treffen kommt.
Polizist: «Was haben Sie da gemacht?»
Er zeigt auf eine Beule an der linken Seite des Autos.
Emin: «Lastwagen reingefahren.»
Polizist: «Sind halt nicht alle geschaffen, um Auto zu fahren. Wie viele Leute kennen Sie von hier?»
Emin: «Ich war mit dem Kollegen vorne unterwegs. Er ist jetzt schon in Pfäffikon.»
Polizist: «Okay, jetzt sind halt wir hier, jetzt haben Sie halt Pech gehabt.»
Ich frage, wieso denn jetzt hier Kontrollen durchgeführt werden.
Polizist: «Weils eine grosse Ansammlung von Autos ist, mit denen wir vermehrt Probleme haben. Sind zu laut, fahren Rennen, verursachen Lärm. Das ist mühsam.»
In diesem Moment fährt ein Auto mit dröhnendem Auspuff vorbei.
Polizist: «Ich muss es nicht kommentieren, oder?»
Er gibt Emin die Fahrzeugpapiere zurück.
Polizist: «Danke, fahren Sie vorsichtig und anständig.» Und gerade als wir losfahren wollen, schiebt er nach: «Die Autos sind bei uns schneller weg, als Ihnen lieb ist, okay?»

Wir fahren auf die Autobahn, und Emin beschleunigt. «Jetzt habt ihrs mal live gesehen», sagt er. Wir halten an einer Tankstelle in Pfäffikon, Salim ist da. «Wie hat dir das Tuningtreffen gefallen?», frage ich. Emin überlegt. «Es ist schon geil. So Flammen siehst du nicht jeden Tag. Aber ich weiss genau, es ist verboten.» Salim ist skeptischer: «Das hat nichts mit Tuningtreff zu tun», antwortet er. «Bei den Treffen, die ich kenne, stehen die Autos mit offener Haube da, damit man reinschauen kann. Ich will mit den Leuten reden, mich austauschen, neue Sachen kennen lernen.» Emin stimmt ihm zu. «Wegen solchen Veranstaltungen wie heute geht unser Ruf kaputt.»
Wir trinken Red Bull und stehen eine Weile rum. «Gleich da ist Alpamare», sagt Salim. «Meine Jugend.» Ich entdecke auf seinem Wagen ein Tattoo: «Louder than your girl last night». Und muss lachen. «Die Polizei musste auch lachen», sagt er.
Mehr Polizeikontrollen führen zu mehr Aggression
Die Polizei und die Autoposer haben eine komplizierte Beziehung. Beide fühlen sich missverstanden, aber diskutieren es nicht aus. Das Problem fängt bei der Sprache an. Polizisten reden und schreiben technisch, das ist manchmal schwer verständlich.
Aber auch der Szeneslang ist für Outsider kaum zu kapieren. Wenn etwas «baba» ist, ist es toll, ein «31er» ist ein Verräter.
Als ich mit Remo Niedermann einen Termin vereinbarte, ahnte ich noch nicht, wie gross die Missverständnisse wirklich sind.
Im Jahr 2020 hat die Stadtpolizei Zürich 432 Autos wegen illegaler Modifikationen verzeigt, 2021 waren es sogar 686.
Seit vierundzwanzig Jahren arbeitet Niedermann bei der Zürcher Stadtpolizei, seit vier Jahren ist er Leiter des Kommissariats Verkehrspolizei. Das Auto ist für ihn Mittel zum Zweck. Es ist August 2021 und Niedermann ist gerade aus den Ferien zurückgekehrt. Er hat eine gesunde Restbräune im Gesicht und strahlt Motivation aus.
Seit Frühling 2021, sagt Niedermann, seien Autoposer für die Polizei ein dominantes Thema. Wegen der Pandemie waren mehr junge Menschen mit ihren Sportwagen in der Stadt Zürich unterwegs als in anderen Jahren, entsprechend gab es mehr Lärmemissionen und massiv mehr Lärmklagen von Anwohnern. «Auch der politische Druck wurde spürbar», sagt Niedermann. «Plötzlich fragten alle: Was macht die Polizei dagegen? Dadurch wurden wir zum Handeln gezwungen.»
Laut internen Zahlen hat die Stadtpolizei Zürich im Jahr 2020 432 Autos wegen illegaler Modifikationen verzeigt, im Jahr 2021 sogar 686. «Illegal» ist dabei jede Veränderung, die nicht für das Fahrzeug zugelassen oder in den Fahrzeugpapieren eingetragen ist.
Wie wir bereits im Thurgau bei Philipp Fisch erfahren haben, werden die Autos ganz legal immer lauter. Und das führt dazu, dass die Polizei sich bei ihrer Kontrolle auf Erfahrungswerte verlassen muss: Wen sie kontrolliert und wen nicht, hängt davon ab, bei wem sie eine illegale Manipulation vermutet.
Auch Niedermann sagt, dass zunächst die subjektive Wahrnehmung des Polizisten, der Polizistin ausschlaggebend sei. «Wenn wir ein Fahrzeug mit speziellen Felgen sehen, wissen wir ja nicht, ob hierfür die entsprechenden Papiere vorhanden sind oder nicht.» Könne vor Ort alles überprüft werden und sei alles legal, werde man wieder aus der Kontrolle entlassen.
Es ist ein Teufelskreis: Autoliebhaber wie Emin, Salim oder Arash wollen auffällige Autos, weswegen sie öfter kontrolliert werden. Und fühlen sich dann diskriminiert.
Hat die Polizei einen Anfangsverdacht, der sich bestätigt, kann sie das Auto einziehen und überprüfen lassen. «Wir versuchen diese Phase möglichst kurz zu halten», sagt Remo Niedermann.
Das sei doch eine Art «Racial Profiling», sage ich. «Nein», antwortet Niedermann. Für eine Kontrolle im Strassenverkehr brauche es im Gegensatz zu Personenkontrollen keinen Kontrollgrund. So sehe es das Strassenverkehrsgesetz vor. Einzelkontrollen seien dennoch nicht zufällig, sondern erfolgten, weil jemand durch sichtbare Veränderungen am Auto oder durch die Lautstärke auffalle. Oder, was am meisten vorkomme: durch das Fahrverhalten.
Hat die Polizei einen «Anfangsverdacht», der sich bestätigt, dann kann sie das Auto temporär einziehen und von Spezialisten des Strassenverkehrsamts überprüfen lassen. «Wenn das jetzt am Sonntagabend passiert, wird das Auto für einige Tage sichergestellt, bis diese Abklärungen abgeschlossen sind», sagt Niedermann. «Wir versuchen diese Phase möglichst kurz zu halten.»
Wie oft sich ein solcher Anfangsverdacht bestätigt und wie oft jemand wie Emin einfach eine Woche ohne Auto auskommen muss, dazu gibt es keine Zahlen. Tuner finden, dass ihre Autos öfter zu Unrecht eingezogen werden. Polizisten sagten mir, dass sich ihr Verdacht fast jedes Mal bestätigt. Auch Niedermann sagt, es komme äusserst selten vor, dass die Stadtpolizei Zürich ein Fahrzeug sicherstelle, die Mängel von ihren Spezialisten aber nicht bestätigt würden.
Aber ist es überhaupt rechtens, dass jemand wie Arash Rayonverbot bekommt, nur weil sein Auto «zu auffällig» ist? «Polizeiliche Wegweisungen sprechen wir aus, wenn es zu einer Szenenbildung kommt», sagt Niedermann. Wenn sich zum Beispiel mehrere Dutzend Autoposer nachts auf einem Quartierparkplatz versammeln, Anwohner wecken, die öffentliche Ruhe und Ordnung stören. Dem müsse die Polizei vorbeugen.
In jedem Korps gibt es Spezialisten. Das sind meist Männer, die zum Beispiel penibel untersuchen, wie illegal ausgebaute Auspuffanlagen aussehen, wie sie kaschiert werden und so weiter. Diese Spezialisten wiederum schulen die Polizisten an der Front.
Eigentlich wollte ich mit einem von ihnen ein Interview führen. Doch die Medienstellen klemmten jeden Versuch ab. Es sei für diese Personen zu gefährlich, sich öffentlich zu zeigen. Man fürchte Repressalien aus der Szene.
Polizisten erzählen mir, dass auf Instagram schon Gewaltaufrufe gegen sie veröffentlicht wurden. Auch hier wieder der Teufelskreis: Je mehr die Polizei kontrolliert, desto aggressiver wird die Stimmung gegenüber der Polizei.
Eigentlich ist das nichts Neues. Schon vor einem halben Jahrhundert gab es Männer am Rand der Gesellschaft, die mit starken Motoren auffallen wollten: die Mitglieder des gefürchteten Töffclubs Hells Angels.
Der Schriftsteller Hunter S. Thompson beschrieb in einer Reportage von 1967, wie durch die konstanten Zusammenstösse mit der Polizei eine neue Art von Straftätern entstand: «Menschen, die selbst dann eine Gefahr für die Polizei und das traditionelle gesellschaftliche Gefüge darstellen, wenn sie gegen keinerlei Gesetze verstossen, weil sie die Justiz verachten und der Polizei misstrauen und sich dieser hartnäckige Groll bei der geringsten Provokation ohne Vorwarnung entladen kann.»
Seit den Sechzigerjahren hat sich nicht viel verändert. Nur dass die nach Aufmerksamkeit heischenden Jungs heute Mercedes oder BMW statt Harley Davidson fahren.
Der Schweizer Abwehrreflex gegen Migranten
Die Monate vergehen, Emin, Salim, Arash und ich treffen uns weniger. Es gibt vieles, was uns trennt. Sie halten das Coronavirus für eine Verschwörung, das CO2-Gesetz lehnen sie ab, weil sonst das Benzin teurer werde. Erst nach vielen Wochen sehen wir uns wieder. Mittlerweile sind die Benzinpreise auch ohne CO2-Gesetz durch die Decke gegangen, Emins Auto hat dreimal die Farbe gewechselt, und seine Garage in Dielsdorf gibt es laut Google Maps gar nicht mehr.
Es ist ein Freitag im August 2022 und Arash mit dem Diamantauto fährt als Erster vor. Deutschrap von Bonez MC und RAF Camora dröhnt aus dem Wagen. Emin schreibt, dass er in fünf Minuten da sei. «Das sind türkische fünf Minuten», sagt Arash, und wir lachen. Mir fällt auf, dass ich heute das erste Mal seine Augen sehe, die sonst immer von einer Versace-Brille verdeckt waren.
«Wie läuft das Verleihgeschäft?», frage ich ihn. «Sehr gut», sagt er. «Wir haben schon sieben Autos. Diamond Supercars.» Er erzählt, dass er jetzt auch Angebote aus Deutschland bekomme. Digitec und Galaxus machten mit seinen Autos Werbung. Rayonverbot habe er keine mehr gekriegt. Und gerade heute habe er die Marketingdiplomarbeit an der Fachhochschule abgegeben. «Läuft bei mir!»
Emin fährt heran, auch sein Auto ist foliert wie ein Diamant. Er steigt aus, reicht mir die Hand und grüsst mit seiner immer gleichen, tiefen, freundlichen Stimme. «Es sind paar Sachen passiert», sagt er und grinst. Emin ist neu Geschäftsführer bei der Garage BB Tuning Dielsdorf, was eigentlich das Folienzentrum ist, einfach mit einem anderen Namen. Er ist mit 25 Prozent beteiligt.
«Und das Auto?», frage ich und zeige auf den fahrenden Diamanten. «Sie haben mich gezwungen», sagt er und zeigt auf Salim, der gerade vorfährt. Ebenfalls in einem Diamantauto. «Ich will die Folie wieder wegnehmen», sagt Emin. «Es ist wirklich too much.»
Die drei werfen sich in Pose und machen Fotos. Ich muss lachen. Warum eigentlich ist die Schweiz so sauer auf diese Männer?
Wir fahren Richtung Rümlang, zur Landebahn, wo Flugspotter die Maschinen beobachten. Emin erzählt, sein Auto sei neu, er habe es im April gekauft – ein Mercedes E63S. 52’000 Franken, wieder Leasing. «Das ist ein Geschäftsauto», sagt Emin. «Kann ich von den Steuern abziehen.»
Es ist noch luxuriöser als das letzte: Sitze mit Massagefunktion, gekühlter Getränkehalter und ein Autodach, das auf Knopfdruck wie ein Sternenhimmel leuchtet.
Als wir bei der Landebahn ankommen, werfen sich die drei in Pose und machen Fotos. Man kann nicht wegschauen, wenn sie neben ihren drei Diamanten stehen. Ich muss lachen. Warum eigentlich ist die Schweiz so sauer auf diese Männer?
Ich denke, es hat auch mit ihren Biografien zu tun. Arash zum Beispiel ist gebürtiger Perser, er kam mit drei Jahren nach Dietikon. Sein Vater importiert Gewürze und Trockenfrüchte. Arash hat zwei Jobs, zur Arbeit fährt er in einem Smart. Und manchmal, wenn es über ihn kommt, dann düst er nach München, um sich «den weltbesten Döner» zu gönnen.
Salim wurde im Nordirak geboren und kam mit neun Jahren in die Schweiz. Er wuchs zusammen mit neun Geschwistern auf, was möglicherweise vielleicht seine Ungeduld erklärt. Familie bedeutet ihm alles und es ist sein Traum, selber viele Kinder zu haben und ein Haus mit Garten. Seiner Frau hat er versprochen, das Auto zu verkaufen, sobald Kinder kommen.
Und Emin, der als Kind hin- und hergeschoben wurde zwischen der Schweiz und der Türkei? Emin ist jetzt sein eigener Chef – und muss noch mehr chrampfen als zuvor.
Vielleicht, denke ich, reagieren wir so empfindlich auf diese Männer, weil in unserer Gesellschaft nur protzen darf, wer im Reichtum aufgewachsen ist. Wer arm ist und trotzdem protzt, ist ein Fall für die Polizei.
Sascha Britsko ist Reporterin beim «Tages-Anzeiger». sascha.britsko@tages-anzeiger.ch
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