Anarchist im Schlafrock
Das Basler Premierenpublikum hat seinen Spass an Dürrenmatts Groteske «Romulus der Grosse» im Schauspielhaus.

Der Vorhang steigt, und mit ihm ein fieser Pfeifton, wie zur Warnung, dass es gleich grell wird. Der römische Hofstaat drängelt sich zusammen wie ein Hühnerhaufen vor dem Fuchs und berichtet im Chor, wie es um das Westreich steht im Jahr 476. Endzeitlich eigentlich. Die Germanen nahen.
Von konkreten Bad News will der Kaiser, der längst kein Imperator mehr ist – wie auch, die Kriegskasse ist mit dem Finanzminister verschollen, die Cash-Maschine am Bühnenrand spuckt keinen Sold mehr aus – vom Fall Pavias also will Romulus (Steffen Höld) nichts wissen. Den Boten Spurius Titus Mamma, der sich in Gestalt von Max Rothbart den Rücken krumm geritten hat, ein staubiger, waidwunder, sinnloser Held – ihn schickt der Kaiser desinteressiert schlafen.
Der Herrscher als Hühnerfarmer
Bekanntlich glänzt Romulus der Grosse in Friedrich Dürrenmatts gleichnamiger «ungeschichtlicher historischer Komödie» durch Tatenlosigkeit. Es geht ihm wie dem Autor, der im Programmheft zur Uraufführung vor knapp 70 Jahren im Stadttheater Basel festgehalten hat: «Der Verfasser ist von Natur aus gegen die Weltreiche.» 1949 war das. Weltreiche hatten zu der Zeit wenig Überzeugendes vorzuweisen.
Gelassen erwartet Dürrenmatts Romulus Roms Untergang. Den kampanischen Landhausbunker, den ihm Michela Flück ins Basler Schauspielhaus geklotzt hat, verlässt er nur widerwillig. Beiläufige Aufmerksamkeit immerhin erfährt Thomas Reisingers zwielichtiger Kunsthändler, der die Büsten römischer Dichter und Denker zusammenrafft und um Ausverkaufsrabatt feilscht. So etwas wie Leidenschaft leuchtet in Steffen Hölds Augen aber nur auf, wenn ihm Kammerdiener Nicola Mastroberardino mit spitzen Fingern Ei und Salz entgegenstreckt.
Der Herrscher als Hühnerfarmer – so hanswurstig entlarvt Dürrenmatt eine Staatsform, der die Geschichte längst Unrecht gegeben hat. Wobei, und nur das bringt das Stück ja vorwärts, nicht der Herrscher der Hanswurst ist, sondern die Nutzniesser des Systems. Leute wie Romulus› Gattin Julia (Myriam Schröder) und Katja Jungs Zeno, Kaiser und Flüchtling mit rheinischem Akzent aus Ostrom, bei denen erste Anzeichen von Hysterie unübersehbar sind. Oder Florian von Manteuffel als Tullius Rotundus Mares, ein von Hiobsbotschaften aufgescheuchter Ministerrat in Personalunion, dem mit der Ernennung zum Reichsmarschall die fehlzündende Idee durchs Hirn schiesst: «Wir bauen eine ‹wall›.» Sagts mit amerikanischem Zungenschlag und grinst und winkt wie Mr. President.
Pionier des passiven Widerstands
Das Theater Basel hat die Neuauflage von Dürrenmatts früher Groteske einem jungen Team um den 32-jährigen Österreicher Franz-Xaver Mayr überlassen. Vor zwei Jahren erst hat Mayr sein Regiestudium an der Zürcher Hochschule abgeschlossen, mit einer «Antigone», weswegen in Basel des Kaisers Tochter Rea nicht fehlen darf. Sie kokettiert schon bei Dürrenmatt schwer mit Antigones Todessehnsucht. Jetzt, im Schauspielhaus, suhlt sich Leonie Merlin Young regelrecht in Sophokles-Versen.
An Reas bebendem Pathos mag es liegen, dass Hosenfabrikant Cäsar Rupf (Thomas Reisinger) etwas halbherzig um sie schachert. Selbst Reas Verlobter, Simon Zagermanns Ämilian, scheint sein Los als schlammgrüner Schlachtenheimkehrer der Aussicht auf eine untote Ehe vorzuziehen. Ämilian beteiligt sich prompt an einem Attentat auf Romulus, dass allerdings kläglich missglückt. Es grassiert Unentschlossenheit bei Hofe. Nur Romulus und die mannshohen Hennen im Hintergrund behalten die Ruhe.
Über zwei Akte bewirtschaftet die Regie Rom als Campus der Faxenmacher, präsidiert von einem Anarchisten, dessen Tunika in erster Linie als schlafrockartige Tarnung dient. Dann, kurz bevor sich die Inszenierung als grosse Alberei von selbst erledigt, outet der souveräne Steffen Höld die wahre Absicht des letzten Kaisers. Romulus will keineswegs nur «die Weltgeschichte nicht stören». Er will das Imperium liquidieren. Nichtstun als die sanfte Form der Sabotage: Mit dieser Taktik macht sich Romulus der Grosse zum Pionier des passiven Widerstands.
Dass ihm Dürrenmatt am Ende den Triumph vergönnt, bewahrt das Drama vor dem Abdriften ins Parabelhafte. Germanenfürst Odoaker jedenfalls, den wiederum Thomas Reisinger in jungseniorenmodetaugliche Siebenachtelhosen stellt, entpuppt sich als gemeiner Italientourist und sorgt für die letzte groteske Wendung der Geschichte. Und das Basler Premierenpublikum hat sichtlich seinen Spass.
Weitere Vorstellungen: 8., 9., 24., 25., 29. Mai. 7., 12., 18. Juni. Schauspielhaus, Basel. www.theater-basel.ch
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