Amy Winehouse: Farewell, my Lovely
So verhängnisvoll ihre persönlichen Probleme waren, im Vergleich zu ihrem einzigartigen Talent waren sie bedeutungslos, schreibt Michèle Binswanger, ein Fan seit der ersten Begegnung mit dieser Stimme.
Ihre Stimme kratzte aus dem Radio, so prägnant und unvergleichlich, dass sie sich sofort in mein Gehör einfräste. Ich erinnere mich genau an jenen Moment in der Küche an einem Dezemberabend 2006. Der Track hiess «You Know I'm No Good», in einer Remix-Version von Ghostface-Killah. Aber trotz beherztem Gerappe stellte diese Stimme alles in den Schatten, durchdrang alles. Diese Stimme war reinster Soul, machte hörbar, warum der Stil überhaupt sogenannt wird, eine Stimme, die nicht einfach nur Töne trifft, sondern einem Schauer über den Rücken jagt. Eine Stimme, die eine eigene Seele hat. Ich dachte an Lauryn Hill oder Ella Fitzgerald, als ich mir den Namen notierte, den der Radiomoderator freundlicherweise erwähnte:
Amy Winehouse
Ich fragte Google. Und Google teilte mir mit, dass es sich bei Winehouse mitnichten um die beleibte Afroamerikanerin handelte, die ich mir vorgestellt hatte, sondern um eine junge, dünne, weisse, britische Sängerin. Die folgenden Wochen lehrten mich, dass diese Frau gerade dabei war, richtig gross rauszukommen – eine Supernova die bereits dabei war, im Nachthimmel zu Verglühen.
Das Album «Back to Black» war zweifellos ein Wurf. Produziert von Mark Ronson im typischen Motown-Sound, mit eingängigem, aber dennoch raffiniertem Songwriting, war es vor allem ihre Stimme, ihre Persönlichkeit, die das Ganze einmalig machte - und Welten zwischen sie und den Rest der Konkurrenz legte. Winehouse war nicht ein weiteres hochglanzpoliertes Vögelchen, das hübsch vor sich hinträllerte – mit ihrer unverkennbaren Erscheinung – Bienenkorbfrisur, dicker Lidstrich, Fünfzigerjahreklamotten – war sie sofort eine Marke. Es gab Amy-Winehouse-Kostüme zu Halloween, Karl Lagerfeld kopierte ihren Stil für seine Herbstkollektion 2007. «Back to Black» verkaufte sich allein in jenem Jahr 5,5 Millionen mal. Ich hörte es rauf und runter, rauf und runter. Und bald schon wollte ich mehr. Ich besorgte mir ihr erstes Album «Frank» aus dem Jahr 2003, das mehr oder weniger unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit erschienen war. Auf «Frank» suchte Winehouse noch ihren Stil, das Album fusst auf einem R&B-Ansatz, mit jazzigen Elementen – aber auch dort schon stand ihre Stimme für sich allein. Ich hörte auch «Frank» rauf und runter. Inzwischen war Januar 2007, Winehouse auf Europatour. Ich bemühte mich um ein Interview in Berlin, aber das Management lehnte ab. Frau Winehouse sei «erschöpft.»
Der weibliche Pete Doherty
Das war, bevor alle Welt beinahe täglich mit Fotos einer halbnackten, desorientierten Frau beliefert wurde, die mit verschmierter Schminke durch die Strasse rennt. Ich hatte gelesen, Winehouse werde «der weibliche Pete Doherty» genannt. Was natürlich nicht auf dessen Talent, sondern seinen Drogenkonsum gemünzt war. Ich hatte dies für Gerüchte gehalten, nicht unbedingt glaubwürdig. Aber in dem Moment, wo ein Management zum Terminus «erschöpft» greift, ist das Schiff meistens schon Leck geschlagen. Amy gab in den folgenden Monaten noch einige grossartige Performances. Bei den Brit Awards wurde sie als beste britische Sängerin ausgezeichnet, bei den MTV European Music Awards gewann sie die Auszeichnung «Artists Choice» und im Jahr 2007 räumte sie fünf Grammys ab. Ja, sie führte ein wildes Leben, hiess es. Aber viel wichtiger war, wie diese beeindruckende Sängerin sich weiter entwickeln, was sie noch bringen würde.
Ich hoffte. Hoffte, dass sie sich einkriegen, ihre Probleme überwinden und nochmals vorlegen würde. Leider kam nicht mehr viel. Vielmehr: Das, was kam, war unerfreulich und tragisch. Nicht nur ich und die Millionen Winehouse-Fans wollten mehr, mehr mehr, auch Amy Winehouse wollte mehr. Leider vom Falschen. Sie heiratete diesen durchgeknallten Typ namens Blake Fielder-Civil, mit dem sie sich auf eine unaufhaltsame Talfahrt begab, die in Abstürzen, geistiger Umnachtung und öffentlicher Demütigung endete. Da war diese Wild-at-Heart-Romanze mit Tattoos und Blutritualen, mit brutalen Streitereien und natürlich Drogen. Massig Drogen. Und sie fiel Stück für Stück auseinander, wurde zur Witzfigur. Er ging ins Gefängnis, sie durch die Hölle. Einlieferungen ins Krankenhaus, Aufenthalte in der Karibik, Entzug, erneuter Absturz. Es gab desaströse Konzerte, heute noch anzusehen auf Youtube, bei denen sie hermutorkelt, herumlallt, irgend etwas aus ihrer Frisur nestelt und es sich dann in die Nase zieht. Auf der Bühne. In der Meinung, niemand würde es mitbekommen. Man mochte nicht hinsehen. Zu traurig, denn es war klar, dass sie nur noch genau zwei Möglichkeiten hatte: radikal aufhören oder sterben.
Viel zu früh
Noch war nicht fertig. Sie nahm den Reggae «Cupid» auf, dann hiess es wieder, sie sei mit Ronson im Studio, sie habe Material, es solle ein neues Album geben. Doch das Ganze zerschlug sich: Winehouse sei noch nicht so weit, gab Ronson lapidar bekannt. Manchmal sah es so aus, als könnte sie sich fangen. Aber wenn man ihre Musik hörte, diese schöne, auch traurige und verzweifelte Stimme, kam man nicht umhin zu denken, dass ihr Verderben bereits besiegelt sei.
Ihre Drogenprobleme zerstörten nicht nur sie als Person, sondern verunmöglichten auch jegliche Arbeit. Und so war Winehouse bereits so gut wie tot, bevor sie nun tatsächlich am vergangenen Samstag leblos in ihrer Wohnung gefunden wurde. Wer ihren desaströsen Auftritt vor ein paar Wochen in Belgrad gesehen hat, kann von ihrem Schicksal nicht überrascht sein. Dennoch, der Schock ist gross – denn mit Winehouse hat die Welt eine einzigartige Sängerin und Persönlichkeit verloren. Einmal mehr viel zu früh.
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