Amerika droht mit einem «Totalabzug»
Hamid Karzai will den geplanten US-Abzug des Hauptkontingents aus Afghanistan besteuern. Der schwierige Verbündete nervt Washington seit langem, nun droht das Fass überzulaufen.

Wurden Washingtoner Marionetten den Herren der Welt lästig, wurden sie bisweilen entsorgt wie Südvietnams Präsident Ngo Dinh Diem im Herbst 1963: Mit Wissen der CIA wurde ein Putsch inszeniert, Diem verlor Amt und Leben. Derart grobschlächtig geht der Puppenspieler nicht mehr vor; die Zeiten haben sich geändert, ein Mindestmass an Dekorum ist Pflicht geworden im Umgang mit unbequemen Figuren wie etwa dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai.
Kurze Lunte infolge cholerischer Befindlichkeit
90 Milliarden Dollar sind dank des längsten Kriegs der amerikanischen Geschichte allein an zivilen Hilfsgeldern seit 2001 aus Washington nach Kabul geflossen. Hunderte Milliarden Dollar Militärhilfe kamen hinzu. Dafür erhalten haben die amerikanischen Aufseher des afghanischen Feldzugs eine Bakschischrepublik, die sogar professionelle und entsprechend abgebrühte Buchhalter der Korruption bei den Vereinten Nationen erstaunte: 2012 sei in Hamid Karzais Afghanistan die Rekordsumme von 3,9 Milliarden Dollar an Bestechungsgeldern entrichtet worden, stellten sie im Februar fest.
Dass der afghanische Präsident eine extrem kurze Lunte in Folge einer cholerischen Befindlichkeit hat, ist in Washington bestens bekannt. Nun aber scheint der Mann in Kabul den Bogen überspannt zu haben: Er möchte den Abzug der US-Truppen besteuern, ja für jeden Schiffscontainer, in dem Munition und Gulaschkanonen, Fahrzeuge und Ersatzteile ausser Landes gebracht werden, verlangt Karzai eine Steuer von tausend Dollar. Ebenfalls zur Kasse gebeten werden in Afghanistan tätige US-Unternehmen, weshalb das Ende des amerikanischen Engagements rund eine Milliarde Dollar in Karzais Portemonnaie spülen würde, falls Washington einknickte.
«Jenseits der Grenzen des Erlaubten»
Dort aber knickt bislang niemand ein, im Gegenteil: Hatte Karzai schon vor seiner Besteuerung des US-Abzugs kaum Fans in der amerikanischen Hauptstadt, so ist er jetzt völlig untendurch. Zumindest im Kongress, wo am Dienstag Vertreter beider Parteien das gesunde Volksempfinden artikulierten. Bei einer Budgetberatung in einem Unterausschuss des Senats bezeichnete Senator Lindsey Graham (South Carolina) Karzais Steuerpläne als «lächerlich», derweil sein demokratischer Kollege Pat Leahy (Vermont) noch deutlicher wurde: «Diese Regierung hat sich einige dumme Sachen geleistet», die Abzugssteuern aber seien «jenseits der Grenzen des Erlaubten», urteilte Leahy über den Steuereintreiber am Hindukusch.
Dann beschlossen die Senatoren, für jeden von Karzai erhobenen Steuerdollar deren fünf an US-Hilfsgeldern zu entziehen. Den Mann in Kabul wird dies kaum zur Besinnung bringen; sein Zorn auf die Geldgeber in Washington brennt schon seit Jahren lichterloh. Legendär etwa ist Karzais epischer Wutausbruch, nachdem ihn der inzwischen verstorbene US-Sonderbeauftragte Richard Holbrooke 2009 wegen Wahlbetrugs zur Rede gestellt hatte. Und geradeso in Wallung geriet der Afghane, als Washington im Frühjahr mit den Taliban zu verhandeln begann und die Gotteskrieger in Katars Hauptstadt Doha gar ein «Büro» eröffneten, mit eigener Fahne und einem Schild, worauf zu lesen war, dass hier das «Islamische Emirat Afghanistan» vertreten werde.
Gescheiterter Versöhnungsversuch
Karzai witterte umgehend, im Washingtoner Marionettentheater werde es nun ein Stück namens «Separatfrieden» geben. Auch dürfte ihm bekannt sein, wie Vorgänger Mohammed Najibullah nach dem Sieg der Taliban 1996 endete: An einem Betonpfahl nämlich. Sobald das Anbändeln der Obama-Administration mit den Taliban publik geworden war, schaltete Karzai daher auf stur: Er stoppte die Verhandlungen über ein Stationierungsabkommen für verbleibende US-Truppen nach dem Abzug des Hauptkontingents 2014. Und er maulte laut und vernehmlich.
Ein zwecks Versöhnung anberaumtes Videotelefonat mit Barack Obama Ende Juni geriet zum Desaster: Dort der hitzige Karzai, hier Mr. Cool. Danach war plötzlich wieder von einem «Totalabzug» aller GIs die Rede, im Weissen Haus seit Monaten als «Zero Option» gehandelt: Statt mindestens 10'000 US-Ausbilder in Afghanistan zu belassen, zöge Amerika mit Sack und Pack Ende 2014 von dannen. Genützt hat die Drohung bisher nichts: Karzai will den amerikanischen Abzug unverändert besteuern, die Stationierungsverhandlungen sind weiterhin eingefroren.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch