«Hoch engagiert und gesellig»Urs Wüthrich stirbt unerwartet – Wegbegleiter sind bestürzt
Der frühere Regierungsrat aus Sissach wurde 68 Jahre alt. Weggefährten behalten einen diskussionsfreudigen und lebensfrohen SP-Politiker in Erinnerung.

Alt-Regierungsrat Urs Wüthrich starb am Montag unerwartet aus gesundheitlichen Gründen. Mehrere Quellen bestätigen einen entsprechenden Bericht der News-Plattform «Onlinereports» gegenüber dieser Zeitung. Die SP Baselland verliert eine ihrer prominentesten Figuren. Wüthrich wurde 68 Jahre alt. Er lebte in Sissach und hinterlässt seine Frau und drei Töchter.
In Erinnerung bleibt ein nahbarer Politiker, der leidenschaftlich diskutierte und bis zuletzt in diversen Ämtern engagiert war. Enge und langjährige Weggefährten und Kritiker Wüthrichs berichten von einem hingebungsvollen Politiker, einem Macher, der gesellig war und für alle ein offenes Ohr hatte. Die Betroffenheit nach dem plötzlichen Tod des Sissachers ist in jedem Gespräch spürbar.
Als ich mit 15 Jahren Urs Wüthrich für mein erstes Interview überhaupt traf, erwartete mich und meine Schulfreundin ein Regierungsrat, der uns für vollwertig nahm. Unsere Lehrer hatten uns mit frustriert-kritischen Fragen nach Liestal geschickt, mit denen wir Wüthrich für einen Beitrag in der Schülerzeitung konfrontieren sollten. Dieser nahm sich Zeit für uns, beantwortete alle Fragen freundlich mit Geduld und ernst gemeinter Begeisterung. Als wir ihm Fragen präsentierten mit Vorwürfen, die inhaltlich nicht richtig waren, korrigierte er uns nicht einfach – er holte Unterlagen hervor, um uns alles zu belegen, was er erzählte.

Dieser Enthusiasmus, dieser direkte und ehrliche Umgang mit Menschen jeden Alters dürfte ein Grundstein für Wüthrichs Erfolg gewesen sein. Ursprünglich aus dem Emmental und später Gemeinderat in Zuchwil SO, setzte Wüthrich im Baselbiet eine steile Politkarriere fort: 1989 stieg er in der Sozialbehörde Sissach ein, 1995 wurde er in den Landrat gewählt, ab 1997 amtete er als Fraktionspräsident. Von 2003 bis 2015 war der SP-Politiker Baselbieter Regierungsrat und stand der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion vor. In diesem Zusammenhang setzte er sich für die Reformen des Schulwesens, vornehmlich Harmos, sowie für eine faire Kulturpartnerschaft mit dem Kanton Basel-Stadt ein. Beides sorgte im Landkanton immer wieder für Kontroversen.
Wüthrich war auch in die sogenannte Honorar-Affäre involviert, in der es um privat vereinnahmte Sitzungsgelder aus staatlichen Verwaltungsratstätigkeiten ging. Wüthrich zahlte dem Kanton schliesslich 2425 Franken zurück. Nach Wüthrichs Rücktritt im Jahr 2015 verlor die SP ihren Sitz in der Baselbieter Regierung. Erst 2019 konnte die Partei mit Kathrin Schweizer wieder Teil der Kantonsregierung werden.
«Man konnte heftig mit ihm diskutieren»
Jürg Wiedemann, früherer Landrat (Grüne-Unabhängige) und Vorstandsmitglied des Komitees Starke Schule beider Basel, war ein dezidierter Kritiker von Wüthrichs Reformen. Er blickt zurück: «Ein wichtiges Merkmal von Urs Wüthrich war, dass er hoch engagiert war. Er hat sehr viel für den Kanton gearbeitet. Sein Arbeitstag begann morgens früh und dauerte bis spät am Abend. Er arbeitete oft auch an den Wochenenden.» Wiedemann behält Wüthrich als jemanden in Erinnerung, der mit viel Engagement an die Dinge heranging.

Obwohl bildungspolitisch anders gelagert, findet Wiedemann nur positive Worte. «Er war natürlich von seinen Reformen überzeugt und hat deshalb alles mit Elan dafür getan», sagt Wiedemann. «Das hat zu grossen Diskussionen geführt. Er hat diese aber stets zugelassen, was ein sehr positives Merkmal an ihm war. Man konnte heftig mit ihm diskutieren.» Bei anderen Gesprächsthemen sei das dann aber wieder vergessen gewesen. «Er war weder nachtragend noch betupft, wenn man ihn kritisierte. Wir hatten gute Diskussionen und haben beide für unsere Anliegen gekämpft. Es waren ehrliche Gespräche», denkt Wiedemann zurück. «Gute Diskussionen sind wertvoll. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn alle das Gleiche sagen. Da kommt man bildungspolitisch nicht vorwärts. Es ist wertvoll, hat er sich dem immer gestellt. Ich halte ihn in sehr positiver Erinnerung.»
«Er hat nie etwas vorgespielt»
Auch bei Parteikolleginnen löst die Todesnachricht Bestürzung aus. «Ich bin fassungslos», sagt Regula Meschberger, damalige Präsidentin der SP Baselland. Wüthrich sei gradlinig und ehrlich gewesen. «Wenn man mit ihm diskutiert hat, hat er immer gesagt, was Sache ist. Er hat nie versucht, etwas vorzuspielen. Deshalb war die Zusammenarbeit mit ihm sehr gut.»

Meschberger erinnert sich, als Wüthrich aus dem Regierungsrat zurücktrat und die Partei bei den Wahlen 2015 ihren Sitz verlor: «Das war für die ganze Partei ein Schock. Auch für Urs selber war das ganz schwierig. Er hat aufgehört, und die SP hat es nicht geschafft, seine Nachfolge zu sichern. Es hat die Partei aufgerüttelt.»
«Ein sehr guter Koch»
«Wir haben uns in sehr vielen Dingen immer sehr gut verstanden», sagt Jürg Degen, ehemaliger Präsident der SP Sissach und früherer Landrat. «Er war immer ein sehr guter Kollege von mir, schon als er noch im Landrat war und ich 1999 für das Parlament kandidierte.» Beide waren sie in dieser Zeit auch für die Gewerkschaft VPOD aktiv. Wüthrich sei ein sehr geselliger Mensch gewesen. «Er war auch ein sehr guter Koch», erinnert sich Degen. «Gemeinsam haben wir für Bildungsveranstaltungen in der SP gekocht. Urs Wüthrich hat mit Leidenschaft gebacken und seine Zöpfe gemacht, was er als Emmentaler natürlich bestens konnte.»
Wüthrich habe immer den Dialog gesucht. «Mit allen, auch jenen, die politisch nicht der gleichen Meinung waren. Er hat immer versucht, alle mit ins Boot zu holen.» Der frühere Regierungsrat sei ihm ein Vorbild gewesen: «Was mich immer wieder überrascht hat, war, wie gut er Niederlagen einstecken konnte. Er hat immer gesagt: ‹Das ist so, das ist die Demokratie, jetzt gehen wir das in einem nächsten Schritt anders an›», berichtet Degen.

Auch nach seinem Rücktritt als Regierungsrat blieb Wüthrich engagiert. Etwa als Präsident beim Förderverein Basel, als Präsident bei den Naturfreunden Schweiz, als Präsident des Vereins Benevol Baselland, als Patronatspräsident der Kunsteisbahn Sissach, im Vorstand der SP Sissach oder beim Klaro-Laden in Sissach. «Er war ein Macher-Mensch, der immer etwas bewirken musste. Das ist bewundernswert», sagt Degen.
«Lebensfroh und diskussionsfreudig»
Die SP Baselland nahm den Tod des Alt-Regierungsrats mit grosser Trauer zur Kenntnis. «Er war noch lange in der Gruppe engagiert, die Bildungswochenenden für die Mitglieder organisiert hat. In seinem Wohnort in Sissach war er stark engagiert für die kommenden Landratswahlen und hat im Hintergrund viel dafür geleistet, dass die SP ein gutes Ergebnis machen wird», sagt Vizepräsident Nils Jocher. «Auch die Jusos in der Partei hat er aktiv gefördert und sich gern mit jüngeren Mitgliedern ausgetauscht.»

«Ich habe ihn als lebensfrohen und diskussionsfreudigen Menschen kennen gelernt. Er hat in der Politik immer die inhaltliche Auseinandersetzung gesucht und sich für Bildung innerhalb der Partei eingebracht. Über verschiedene Generationen hinweg hat er Gespräche gesucht.» Urs Wüthrichs Tod habe in der SP Baselland grosse Betroffenheit ausgelöst. «Viele Leute haben uns geschrieben. Sie sind aus allen Wolken gefallen und betroffen, dass er so unerwartet gestorben ist. Das herzliche Beileid der SP gilt der Familie und den Angehörigen.»
«In Sissach immer präsent»
Der Sissacher Gemeindepräsident Peter Buser war schockiert, als er vom Tod Wüthrichs gehört hat. «Ich hatte noch laufende Geschäfte mit ihm», sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. «Er war ein Mensch, der in Sissach immer präsent war. Auch in seiner Zeit als Regierungsrat hat er sich am gesellschaftlichen Leben beteiligt.»
Wüthrich sei bei den Leuten gewesen und hätte für die Bevölkerung stets ein offenes Ohr gehabt. «Er war gesellig und hat mit allen geredet und alle wahrgenommen», blickt Buser zurück. Der Gemeindepräsident hatte mit Wüthrich ein kollegial-kameradschaftliches Verhältnis. «Ich hatte privat und in der Gemeinde mit ihm zu tun. Er war immer klar, und man wusste, woran man ist. Man konnte sich auf ihn verlassen. Umgekehrt hat er dasselbe gefordert, er hat einen gefordert», sagt Buser.

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