
Für Italiens Populisten ist die Botschaft, die sie ihrem Volk zukommen lassen, so wichtig, dass sie manchmal sogar bei ihren kulinarischen Vorlieben flunkern. Man will ja nicht abgehoben wirken. Als Matteo Salvini am letzten Sonntag zu später Stunde das Restaurant Da Sabatino beim Pantheon verliess, wo er gerade mit den beiden Regierungskollegen Luigi Di Maio und Giuseppe Conte gegessen hatte, sagte er zu den wartenden Reportern: «Wir hatten grossen Hunger, es gab einen Teller Fettuccine.» Das sind breite, römische Nudeln, normalerweise an Fleischsauce. Da treffen sich also die beiden mächtigen Vizepremiers von Lega und Cinque Stelle und der Chef der «Regierung des Wandels» zum Dinner, und was essen sie? Pasta, bodenständig.
Eine Fernsehsendung hatte nun die gute Idee, bei der Wirtin nachzufragen. «Primi», sagte die, habe sie gar keine aufgetragen, dafür Antipasti: Auberginen, Peperoni, Zucchine. Dann, übergangslos, ein Secondo: Rindsfilet Chateaubriand mit Gemüse. Zum Schluss Kaffee. Natürlich ist es nicht so relevant, was die Herrschaften essen. Doch kurios ist es schon, dass Salvini vorgibt, sie hätten Heisshunger gehabt und Fettuccine kredenzt bekommen, als wären sie Bauarbeiter. Am Ende ist Propaganda halt alles.
So muss man auch die Totalkonfrontation lesen, die sich Lega und Cinque Stelle nun wegen ihrer überzogenen, mit viel zu viel Defizit beladenen Haushaltspläne mit Brüssel liefert. Man hatte sich den Streit innig gewünscht, und zwar nach genau diesem Script. Die Zeitung «Corriere della Sera» schreibt: «Die Regierung hat nach einer Ablehnung ihres Haushalts geschrien.» Jedenfalls war allen klar, dass die europäischen Kommissare gar nicht anders konnten, als diesen Etat abzulehnen: Er war nämlich als Regelbruch inszeniert, als Provokation. Den Entscheid, den Streit eskalieren zu lassen, fassten die drei Herren im Sabatino beim Pantheon.
Er hat fast nur taktische und politische Motive. Das italienische Volk soll sehen, dass sich Rom unter dieser Regierung nicht mehr klein macht, dass es seine Gestaltungshoheit zurückholt. Egal, was einmal beschlossen und unterschrieben wurde. Egal auch, ob man es sich leisten kann, Geld zu verteilen. Bürgereinkommen, Steuerreduktionen, bessere Renten? Wenn Brüssel das nicht genehm ist, sagen sie, dann ist das nur ein weiterer Beweis dafür, dass sich die «Eurobürokraten» nicht um das Wohl der europäischen Bürger scheren, sondern nur um das Wohl der Banken, der Mächtigen, des Systems. Das ist die Botschaft, unterlegt mit Schimpftiraden.
Salvini, Di Maio und Conte wiederholen ständig, Brüssel sei zerfressen von «Vorurteilen» gegen Italien. Hinweise auf die dramatische Staatsverschuldung wischen sie mit einem Lächeln weg. Lega und Fünf Sterne sind sich in vielen Sachfragen uneinig: Bei der Bestimmung ihrer Gegner aber, da sind sie oft ein Herz und eine Seele. Auf die EU und den Euro einzudreschen, ohne weder die eine noch den anderen verlassen zu wollen – das geht ganz einfach. Italien hat keine Opposition, die dagegenhält. Den Populisten gehört die ganze Bühne.
Und so konnte Salvini nach der Ablehnung des Budgetplans unwidersprochen sagen: «Die Kommissare attackieren nicht die Regierung, sondern das italienische Volk.» Als wäre das eins. Er sagte auch noch: «Brüssel kann uns bis Weihnachten Briefe schreiben, doch wir werden den Haushalt nicht mehr verändern.» Bis Weihnachten also.
Zeit ist ein zentraler Faktor in den Überlegungen. Lega und Cinque Stelle rechnen sich aus, dass dieses Duell mit der Europäischen Union noch einige Monate fortdauert, idealerweise bis zu den Europawahlen im kommenden Mai. Die Populisten hoffen ja, dass sie dann die Europäische Union, wie man sie kennt, mit ihren alten Parteien und alten Gleichgewichten, auf den Kopf stellen können. Salvini sagt, der Verbund der «Souveränisten» Europas hätten gerne, wenn er sie als Spitzenkandidat in die Wahlen führen würde. Er ist ihr neuer Star, so er denn standhaft bleibt.
Ihre grosse Gunst im Volk werden die römischen Populisten wohl nur dann behalten, wenn sie bis im Frühjahr mindestens einen Teil ihrer Wahlversprechen auch tatsächlich umgesetzt haben: ein bisschen Bürgergeld, ein bisschen bessere Renten, Steuerreduktion für Kleinfirmen. «Detto, fatto», sagen die Italiener. Gesagt, getan. Und das geht nur, wenn sie die veranschlagten Milliarden Neuverschuldung auch durchbringen.
In Italien kommt der trotzige Geist gut an, manche halten ihn für revolutionär. Umfragen zeigen, dass die beiden Parteien zusammen mehr als 60 Prozent der Italiener hinter sich wissen. Ebenso viele finden, der Etat sei gut geschnürt. Gleichzeitig sinkt das Vertrauen in die EU. Es ist, als gehe alles auf, gäbe es in diesem gewagten Spiel nicht einen externen Faktor, der jederzeit alles sprengen könnte. Morgen, in einer Woche, bis Weihnachten. Schnellen die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen bald noch viel stärker in die Höhe und zerreissen die Banken, stehen die Populisten plötzlich nackt da. Mit verzocktem Kapital und ohne Alibi.
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Als wären sie Bauarbeiter und Revoluzzer
Italiens Populisten haben nach monatelanger Propaganda gar keine andere Wahl mehr, als im Budgetstreit mit Brüssel standhaft zu bleiben. Sonst verlieren sie ihr Volk. Das Duell wird sich wohl an den Börsen entscheiden.