Ärzteprozess wegen Hitzetods eines Babys
Ab heute stehen die beiden Basler Ärzte vor Gericht, die wegen des Todes eines Buben angeklagt sind. Das Basler Kinderspital wandte eine Testmethode an, die als veraltet gilt.
Es geschah bei einer Routineuntersuchung. Es geschah bei einem Test, wie ihn jedes Schweizer Kinderspital bis in die jüngste Zeit fast täglich an Kindern durchführte. Jahrzehntelang, ohne jegliche Probleme. Schweisstests dienen dazu, die Stoffwechselkrankheit Zystische Fibrose (auch Mukoviszidose) zu erkennen. Durch die nicht heilbare Krankheit bildet sich zäher Schleim auf verschiedenen Organen, vor allem in den Lungen und der Bauchspeicheldrüse.
Die Tests galten als harmlos – und sie gelten es immer noch. Schwerste Nebenwirkungen sind lokale Verbrennungen von der Stärke eines Sonnenbrands. Experten ist weltweit nur einziger Fall einer solchen Untersuchung bekannt, bei der ein Mensch zu Schaden kam: Im Sommer 2004 starb im Universitäts-Kinderspital beider Basel ein vier Monate alter Bub. Er war laut Staatsanwaltschaft auf eine Körpertemperatur von 43,5 Grad erhitzt worden. Der TA machte vor einem Monat den tragischen Todesfall publik. Morgen müssen sich zwei leitende Ärzte des Kinderspitals vor dem Strafgericht Basel-Stadt verantworten. Sie bestreiten den Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Für sie gilt die Unschuldsvermutung.
Der Test gilt heute als überholt
Anfragen bei Schweizer Kinderspitälern ergeben, dass die Schweisstest-Methode, wie sie gemäss Staatsanwaltschaft in Basel angewandt wurde, heute nicht mehr benützt wird. Einzelne Kliniken waren bereits vor dem Todesfall in Basel davon abgekommen, andere wandten sie bis vor Kurzem an.
Die neuere medizinische Literatur rät von der Methode ab. «Wärmelampen bzw. das Einwickeln des Kindes in Tücher werden wegen einer möglichen Überhitzung des Kindes nicht empfohlen», heisst es in einem Artikel der Fachzeitschrift «Paediatrica». Der Text wurde 2007 veröffentlicht, drei Jahre nach dem Tod des Basler Buben. Der Autor, Lungenspezialist Jürg Barben vom Ostschweizer Kinderspital, erklärt auf Anfrage, er habe diese Empfehlung eigens aufgenommen, weil er kurz vor der Publikation vom Tod des Säugling erfahren habe.
Im Skianzug unter die Wärmelampe
Der kleine Bub war laut Anklageschrift in eine Art Skianzug gesteckt und unter Wärmelampen gelegt worden. «Diese Massnahmen sind nicht notwendig, um verlässliche Testresultate zu erreichen», sagt Barben. Das Kinderspital St. Gallen habe Schweisstests mit Wärmelampen und warmer Kleidung vor fünf Jahren abgeschafft. Barben, der die Schweizer Ärzte-Arbeitsgruppe für Zystische Fibrose präsidiert, hält jedoch Tests auch nach der alten Methode für «völlig ungefährlich». Er ist überzeugt, in Basel sei es zu einer «Verkettung unglücklicher Umstände» gekommen, «wie es immer wieder passieren kann, wenn Menschen zusammen arbeiten». Das Spital hatte laut Anklageschrift eine seltene Stoffwechselkrankheit des Knaben nicht erkannt. Wegen des vererbten Defekts schwitzte das Baby kaum – auch nicht als der Schweisstest nach zwei Stunden nochmals verlängert wurde.
Laut britischen Richtlinien, die 2003 erlassen wurden, sollte ein Schweisstest auf 20 bis 30 Minuten beschränkt bleiben. In Schweizer Kliniken dauerten die Tests aber oft länger. Barben und zwei Kollegen aus den Kinderspitälern Bern und Zürich kommen im erwähnten «Paediatrica»-Artikel zum Schluss, «dass in der Schweiz eine Vielzahl von Schweisstestmethoden angewandt wird, die nur in wenigen Fällen den aktuellen Richtlinien zur Durchführung und Interpretation eines Schweisstests entsprechen». Von den 26 im Jahr 2005 befragten Schweizer Kliniken hätten nur drei angegeben, sie würden Schweisstests maximal eine halbe Stunde lang durchführen. Die durchschnittliche Dauer beträgt gemäss der Studie 55 Minuten. Für ein gesundes Kind ist dies laut Fachleuten kein Problem. Allerdings erhöht sich die Gefahr falscher Testresultate.
Das Zürcher Kinderspital verzichtet ebenfalls auf die Erwärmungsmethode. Zudem sieht es bei Kindern mit akuten fieberhaften Erkrankungen gemäss Alexander Möller, der die Lungensprechstunde leitet, von Schweisstests ab. Beim Basler Test, der zum Tod des Kindes führte, hatte der Knabe laut Anklageschrift bereits 39 Grad Fieber, als er ins Spital gebracht wurde. In Zürich, so sagt Möller, werde das Schwitzen nicht erzwungen: «Da es sich um keine Notfalluntersuchung handelt, kann man den Test meist gut auf einen günstigeren späteren Zeitpunkt verschieben oder ihn bei zu wenig Schweiss beim ersten Versuch wiederholen.»
Das Basler Kinderspital möchte wegen der anstehenden Verhandlung keine Stellung nehmen. Der Verteidiger der beiden angeklagten Ärzte wurde aber in der «Basler Zeitung» zitiert, er habe Kenntnis davon, dass heute die Tests wegen des wissenschaftlichen Fortschritts «ganz anders» als beim tragischen Tod des Säuglings durchgeführt werde.
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