Spannendes Schach Action auf dem Brett
Das Kandidatenturnier in Madrid zeigt: Der heutige Schachsport hat sich weiterentwickelt. Und er erzählt die besseren Geschichten, als viele denken.

Es war das absolute Highlight des Schachjahrs: das Anfang dieser Woche zu Ende gegangene Kandidatenturnier in Madrid. Vierzehn Runden lang kämpften acht der besten Schachspieler um die Möglichkeit, den Weltmeister Magnus Carlsen zum Duell herausfordern zu dürfen. Und sie boten den Zuschauerinnen und Zuschauern dabei richtig unterhaltsamen Schachsport. Wer sich die Zeit nahm, ein paar der gespielten Partien zu verfolgen, der durfte feststellen: Schach ist definitiv in der heutigen Zeit angekommen. Die Grossmeister scheuten sich nicht davor, auf unbekanntes Terrain vorzustossen oder riskante Züge zu spielen. Das Resultat waren äusserst ereignisreiche Partien, Partien, die Fehler boten, verrückte Wendungen beinhalteten und oft auch sehr kurzlebig waren. So endeten fast die Hälfte aller gespielten Partien vor dem vierzigsten Zug, also noch vor Erreichen der Zeitkontrolle.
Gewonnen hat wie schon im letzten Jahr der Russe Jan Nepomnjaschtschi. Er, der sowieso unter speziellen Vorzeichen nach Spanien gereist war und dort unter neutraler Flagge antrat, verlor in vierzehn Runden kein einziges Mal, gewann dabei fünf Partien und stand schon eine Runde vor Schluss als Sieger fest.
Die Weltklasseleistung von «Nepo» war aber bei weitem nicht das Einzige, was in Madrid für Gesprächsstoff sorgte. Eine kleine Auswahl.
Ein Remis ist nicht genug
Diesen Grundsatz verfolgte wohl besonders Fabiano Caruana während seines fast dreiwöchigen Aufenthalts in Madrid. Unglaublich, wie der für die USA spielende Grossmeister in fast jeder Stellung den Sieg suchte – und dafür nicht selten mit der Niederlage bezahlen musste. So etwa auch in seiner Elftrundenpartie gegen Ding Liren, als er die Tatsache nicht akzeptieren wollte, dass er seinen mühsam erarbeiteten Vorteil in wenigen Zügen verspielt hatte, und schliesslich als Verlierer vom Brett schlich. Überhaupt konnten sich die Schachfans bei diesem Kandidatenturnier schwerlich über zu wenig entschiedene Partien beklagen: 23 der ausgetragenen 56 Partien endeten mit einem Sieger. Caruana selbst durfte hingegen nur dreimal jubeln, das reichte ihm lediglich für den enttäuschenden fünften Schlussrang.
Die etwas andere Vorbereitung
Diese zeigte Alireza Firouzja in der Nacht vor der elften Runde. Über 200(!) Bulletpartien soll der Franzose gegen den amerikanischen Grossmeister Daniel Naroditsky gespielt haben, bis fünf Uhr morgens sollen sich die beiden Schachspieler auf dem Brett respektive am Bildschirm ausgetobt haben. Ob Firouzja deswegen die gleichentags ausgetragene Partie gegen Nepomnjaschtschi derart diskussionslos verlor, bleibt an dieser Stelle offen. Offensichtlich wurde hingegen, dass eine junge Generation an aufstrebenden Schachspielern nicht mehr nur an den herkömmlichen Vorbereitungsstrategien interessiert ist, sondern – gelinde gesagt – eher unverkrampft an die Sache herangehen. Judit Polgar, die beste Spielerin der Schachgeschichte, war ob Firouzjas Verhalten schockiert und nannte es einigermassen respektlos. Für frischen Wind sorgte es aber allemal.
Ein neues Format soll her
Mit dieser Idee hat der Weltmeister Magnus Carlsen höchstpersönlich die Verantwortlichen beim Weltschachbund ins Grübeln gebracht. Nachdem der Norweger zunächst bekannt gegeben hatte, dass er nur noch gegen einen Spieler wie Firouzja zur Titelverteidigung antreten wolle, schlägt er nun, nach dem ziemlich enttäuschenden Abschneiden des aufstrebenden Talents, konziliantere Töne an. Ein Titelkampf gegen «Nepo» ist für den 31-Jährigen nun doch wieder denkbar, allerdings nicht im herkömmlichen Spielformat. Wie das neue Format genau aussehen soll, ist noch unklar. Klar ist hingegen, dass es aufregender und spannungsvoller sein soll. Ganz im Zeichen der Zeit eben.
Die anstehende Wahl
Ganz im Zeichen der Zeit stand auch Nepomnjaschtschis letzter Satz bei seiner Abschlussrede in Madrid. «Ich hoffe, dieses Jahr wird besser enden, als es angefangen hat», sagte der Russe mit ernster Miene, und es war unmissverständlich, dass er sich mit dieser Aussage nicht auf seine Leistungen am Brett, sondern auf den Krieg in der Ukraine bezog. Schliesslich gehörten die russischen Schachspieler zu den ersten Athleten überhaupt, die sich öffentlich und in grosser Zahl gegen die Ukraine-Invasion ausgesprochen haben. Und doch bleibt die Angelegenheit für den Schachsport weiterhin brisant. Denn der Fide-Präsident Arkadi Dworkowitsch, früher ein enger Vertrauter von Wladimir Putin, hat bei den kommenden Wahlen beste Chancen auf eine Wiederwahl.
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