Abstimmung zu verschieben ist eine «erbärmliche Feigheit»
Theresa May gibt zu, dass sie das Brexit-Abkommen im Unterhaus nicht durchgebracht hätte. Die EU beruft einen weiteren Brexit-Gipfel ein.
Die für Dienstag geplante Abstimmung im Unterhaus über das Brexit-Abkommen mit der EU wird verschoben. Das kündigte die britische Premierministerin Theresa May am Montagnachmittag im Parlament an. «Das Abkommen wäre mit einer beträchtlichen Mehrheit abgelehnt worden», sagte sie vor den Parlamentariern zur Begründung. Wann die Abstimmung nun stattfinden solle, gab sie nicht bekannt.
Ausserdem strebt May Nachverhandlungen mit der EU über das Abkommen an. Sie werde ihren EU-Kollegen die «klaren Bedenken» des britischen Unterhauses vortragen und «weitere Zusicherungen» aus Brüssel verlangen, sagte sie vor den Abgeordneten. Aus der belgischen Hauptstadt bekam sie aber postwendend eine Absage. «Dieser Deal ist der beste Deal und der einzige mögliche Deal», bekräftigte eine Kommissionssprecherin in Brüssel.
EU-Ratspräsident Donald Tusk hat für Donnerstag einen Gipfel der 27 bleibenden EU-Staaten einberufen. «Wir werden den Deal – einschliesslich des Backstops – nicht neu verhandeln», bekräftigte er. «Aber wir sind bereit zu diskutieren, wie die Ratifikation in Grossbritannien bewerkstelligt werden kann. Da die Zeit vor dem für 29. März angekündigten britischen EU-Austritt davonlaufe, werde man auch die Vorbereitungen für einen Brexit ohne Vertrag diskutieren, schrieb Tusk weiter.
Neben Nachverhandlungen mit Brüssel wird in Grossbritannien auch über ein zweites Brexit-Referendum spekuliert. Beim ersten Referendum 2016 hatte sich nur eine knappe Mehrheit der Briten für die Löslösung von der EU ausgesprochen.
Bereits während des Wochenendes habe sie mit mehreren hochrangigen europäischen Politikern gesprochen, sagte May. Vor dem nächsten EU-Gipfel am Donnerstag werde sie sich zudem mit einigen Staats- und Regierungschefs sowie mit Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker treffen.
Allerdings werde die Regierung auch die Vorbereitungen auf einen EU-Austritt Grossbritanniens ohne Abkommen «beschleunigen». Solange kein Abkommen zwischen London und Brüssel besiegelt ist, steige das «Risiko» eines ungeordneten Austritts Grossbritanniens, sagte May.
Seit Tagen Spekulationen
Bereits seit Tagen war in Grossbritannien über eine Verschiebung der Abstimmung spekuliert worden. Bei einer absehbaren Abstimmungsniederlage hätte May eine offene Revolte in der Partei gegen ihre Führung fürchten müssen.
Die EU-Kommission hatte möglichen Nachverhandlungen an dem Abkommen schon im Vorfeld eine Absage erteilt. Nach Angaben aus London hatte May am Wochenende Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und EU-Ratspräsident Donald Tusk geführt. Spekuliert wurde, ob sie dabei die Möglichkeit von Nachverhandlungen sondiert haben könnte.
Die Angst vor einem Konflikt
Mit dem Backstop soll verhindert werden, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach dem Brexit wieder Grenzkontrollen eingeführt werden. In diesem Fall würde ein Wiederaufflammen des Konflikts in der Ex-Bürgerkriegsregion befürchtet.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bezeichnete die Entscheidung, die Abstimmung zu verschieben, als «erbärmliche Feigheit». Die konservative Regierungspartei stelle damit ihre eigenen Interessen über die des Landes, so Sturgeon weiter.
Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, forderte May auf, entweder beim Abkommen nachzuverhandeln oder eine Neuwahl auszurufen. «Wir haben keine funktionierende Regierung», so Corbyn.
Die Position Mays wackelt
Etwa 100 der 315 Abgeordneten aus Mays Konservativer Partei hatten angekündigt, das vorliegende Brexit-Abkommen nicht zu unterstützen. Viele von ihnen fürchten eine zu starke Bindung an die EU. Auch die nordirische DUP, auf deren zehn Stimmen Mays Regierung im Parlament angewiesen ist, kündigte Widerstand ab. Sie lehnt Sonderregelungen für Nordirland ab.
Von der Opposition darf sich May ebenfalls keine Unterstützung erhoffen. May braucht mindestens 320 Ja-Stimmen, um den Deal sicher durch das Parlament zu bringen. Mays Posten als Premierministerin wackelt mehr denn je. Britischen Medien zufolge stehen mehrere Politiker als mögliche Nachfolger in der Startposition, darunter Innenminister Sajid Javid und Ex-Aussenminister Boris Johnson, einer der grössten Widersacher Mays.
London kann Brexit zurücknehmen
Zuvor hatte der europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Grossbritannien den EU-Austritt einseitig und ohne Zustimmung der übrigen EU-Länder stoppen könnte. Die Schwelle für einen Rückzieher von dem in Grossbritannien sehr umstrittenen EU-Austritt ist somit niedriger als gedacht. Das oberste schottische Zivilgericht hatte den EuGH um eine Bewertung gebeten, ob ein einseitiger Rückzieher noch möglich sei.
Dies könnte für britische Abgeordnete, die auf einen Verbleib in der EU spekulieren, ein weiteres Argument sein, gegen den Austrittsvertrag zu stimmen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat darauf verwiesen, dass der vorliegende Deal «der bestmögliche» sei. Er sei bereits von den EU-Staats- und Regierungschefs gebilligt worden. «Wir werden nicht neu verhandeln», sagte eine Sprecherin der EU-Kommission am Montag in Brüssel. «Unsere Position hat sich nicht verändert. Was uns betrifft, tritt das Vereinigte Königreich am 29. März 2019 aus der EU aus.»
Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten offiziell darüber informiert, dass das Land die EU verlassen will. Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge. Die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsländer hatten vor dem EuGH argumentiert, das Verfahren lasse sich nur mit einem einstimmigen Beschluss des Rats stoppen.
Der EuGH sieht das eindeutig anders. Ein Rückzieher der Austrittsankündigung sei «in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten» in Grossbritannien möglich. Dann bliebe das Vereinigte Königreich unter unveränderten Bedingungen Mitglied der EU, entschieden die Luxemburger Richter. Das Urteil dürfte den Brexit-Gegnern in Grossbritannien Auftrieb geben.
sda/afp/ij/fal
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