525 Tote – Muslimbrüder wollen weiterkämpfen
Die Zahl der Toten in Ägypten ist auf mehr als 500 gestiegen. Die Regierung verteidigt das harte Durchgreifen, die Muslimbrüder geben sich nicht geschlagen und wollen morgen wieder demonstrieren.
Die Muslimbrüder gaben sich im Machtkampf mit dem ägyptischen Militär auch heute nicht geschlagen. Die Mursi nahestehende Bewegung werde nicht ruhen, bis «der Militärputsch» der Vergangenheit angehöre, erklärte ein Sprecher über den Kurznachrichtendienst Twitter. Er betonte, dass die Muslimbrüder dabei «stets gewaltfrei und friedlich» vorgehen würden. «Wir bleiben stark, aufsässig und entschlossen.»
Bei den jüngsten landesweiten gewaltsamen Auseinandersetzungen in Ägypten sind neuen Angaben der Übergangsregierung zufolge mindestens 525 Menschen getötet worden. Zudem wurden mehr als 3700 Menschen verletzt. Unter den Toten seien 421 Zivilisten, teilte das ägyptische Gesundheitsministerium mit. Demnach gab es allein bei der Räumung des Protestlagers Rabaa al-Adawija in der Hauptstadt Kairo 137 Tote und 57 weitere im kleineren Camp Al-Nahda. 227 Menschen seien bei gewaltsamen Auseinandersetzungen im Rest des Landes getötet worden.
Das ägyptische Innenministerium hat die Zahl der getöteten Sicherheitskräfte zuvor mit 43 angegeben. Die Demonstranten sprechen von 2200 Toten und mehr als 10'000 Verletzten.
Das Chaos in Ägypten wird in aller Welt mit Sorge gesehen. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan forderte eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrates. Er verurteilte die Räumungsaktion der Polizei als Massaker.
«Keine Alternative zur Räumung des Camps»
Die ägyptische Übergangsregierung hatte zuvor ihre Entscheidung verteidigt, die beiden Protestlager der Anhänger des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi gewaltsam aufzulösen. Die Regierung habe keine andere Wahl gehabt, um eine Ausbreitung von Anarchie zu verhindern.
«Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Dinge einen Punkt erreicht haben, den kein sich selbst achtender Staat akzeptieren darf», sagte Ministerpräsident Hasem al-Beblawi in einer Fernsehansprache. Dennoch sei die Entscheidung nicht leicht gewesen.
Al-Beblawi dankte der Polizei auch für ihre Zurückhaltung bei der Räumung der Protestcamps. Die Sicherheitskräfte seien aufgerufen gewesen, beherrscht vorzugehen, sagte der Regierungschef. «Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um der Polizei für ihre äusserste Zurückhaltung zu danken.» Er betonte, die Räumung der Camps sei alternativlos gewesen. Der Staat sei zum Handeln gezwungen gewesen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Bei einem solchen Chaos wie derzeit wäre zudem wirtschaftlicher Fortschritt nicht möglich, sagte der Politiker.
Der verhängte Notstand solle nur so lange in Kraft bleiben, wie unbedingt nötig, sagte el-Beblawi weiter. «So Gott will, werden wir weitermachen», ergänzte er. «Wir werden unseren demokratischen, zivilen Staat errichten.»
Neue Gewaltausbrüche befürchtet
Nach den schweren Unruhen ist es in Ägypten in der Nacht auf heute weitgehend ruhig geblieben. Bis zum frühen Morgen habe es keine grösseren Zwischenfälle gegeben, sagten Vertreter der Sicherheitskräfte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
In mehreren Provinzen, darunter in Kairo und Alexandria, galten Ausgangssperren. Die Muslimbrüder wollen ihre Proteste gegen die Absetzung von Präsident Mohammed Mursi trotzdem fortsetzen.
Das ägyptische Nachrichtenportal youm7 berichtete, die Sicherheitskräfte befürchteten dann «eine neue Welle der Gewalt», wenn die Islamisten am Freitag erneut demonstrieren sollten. Die Sicherheitskräfte kündigten an, keine neuen Protestlager zu tolerieren.
Laut Augenzeugen schoss die Polizei gestern auch mit scharfer Munition auf die Demonstranten. Ein regierungsnaher ägyptischer TV-Sender veröffentlichte hingegen ein Infrarot-Video, das zeigen soll, wie Mursi-Anhänger auf Polizisten feuern.
Mursi war Anfang Juli vom Militär entmachtet worden. Danach wurde die Übergangsregierung eingesetzt. Aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte reichte Vizepräsident Mohammed al-Baradei seinen Rücktritt ein. In einem Brief an Übergangspräsident Adli Mansur erklärte er, es habe gewaltlose Alternativen gegeben, um die politische Krise im Land zu beenden.
«Es ist für mich schwierig geworden, weiter die Verantwortung für Entscheidungen zu treffen, mit denen ich nicht übereinstimme, und deren Auswirkungen mir Angst machen», erklärte er. «Ich kann nicht die Verantwortung für einen einzigen Tropfen Blut übernehmen.»
Drei Journalisten unter den Toten
Bei den schweren Ausschreitungen in Ägypten sind auch mindestens drei Journalisten getötet worden. Mehrere weitere Medienvertreter wurden bei den Unruhen verletzt.
Der britische Sender Sky News meldete den Tod seines Kameramanns Mick Deane. Der 61-Jährige sei erschossen worden, hiess es. Auch eine Reporterin einer Zeitung aus Dubai kam ums Leben. «The Gulf News», eine staatlich kontrollierte Zeitung der Vereinigten Arabischen Emirate, berichtete auf ihrer Website, die 26-jährige Habiba Ahmed Abd Elassis sei in der Nähe der Moschee Rabaah el Adawija erschossen worden, als die Sicherheitskräfte gegen eine Sitzblockade von Anhängern des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi vorgingen. Sie habe Urlaub gehabt und sei nicht für die Zeitung «XPRESS» in Kairo gewesen, für die sie arbeitet.
Übergriffe auf Journalisten werden untersucht
Auch der ägyptische Journalist Ahmed Abdel Gawad, der für die staatliche Zeitung «Al Achbar» arbeitete, wurde bei den Auseinandersetzungen an der Moschee Rabaah el Adawija getötet. Das bestätigte das Ägyptische Pressesyndikat, eine Journalistengewerkschaft. Über die näheren Umstände seines Todes war zunächst nichts bekannt.
Das Komitee zum Schutz von Journalisten erklärte, es untersuche mehrere Übergriffe auf Journalisten. Es rief die ägyptischen Behörden auf, sich zurückzuhalten und die Arbeit von Medienvertretern nicht zu behindern. Das Internationale Presse Institut berichtete, es gebe Hinweise, dass Journalisten von beiden Seiten angegriffen würden.
sda/AP/AFP/chk/fko
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