Wollige Wunderwaffe namens Isidor25-Jähriger will wieder Wandern können – ein Schaf hilft ihm dabei
Andrews* Wirbelsäule wurde durch einen Unfall verletzt. Für Menschen wie ihn bietet das Rehab Basel eine tiergestützte Therapie an. Im Rahmen von «BaZ hilft» haben wir den Tiergarten besucht.

Freddy kommt fröhlich auf den Trainingsplatz gelaufen. Das Minipig weiss schon genau, was es erwartet. Denn Lorena Wegmüller hat für ihn einen kleinen Parcours aufgestellt. Sie ist die Betriebsleiterin von Therapie-Tiergarten & Hippotherapie im Rehab Basel.
In der einen Hand hält sie einen Klicker, in der anderen einen Stab, an dessen oberem Ende ein kleiner Ball befestigt ist – ein sogenanntes Target. Sobald Freddy es mit seiner Nase anstupst, klickt Wegmüller, und Freddy erhält eine Belohnung.
Heute ist das Ferkel etwas aufgeregt, weil so viele Leute dabei sind. Als die Therapeutin ihm aber bunte Ringe zuwirft, apportiert es diese blitzartig und stülpt sie über einen Halter. Freddy scheint Spass an der Sache zu haben. «Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Tiere wirklich gern mitmachen», sagt Gisela van der Weijden, Leiterin Tiergestützte Therapie.
Als Nächstes läuft Freddy einen Slalom und geht sogar durch einen Tunnel hindurch. «Er ist ein richtiger Streber», sagt Wegmüller augenzwinkernd.
Natürlich gebe es auch Tage, an denen er nicht so Lust habe, aber das komme selten vor. Wie zum Beweis setzt er sich auf Kommando brav hin.
Das Tier regt an, die Initiative zu ergreifen
All diese Aufgaben können im Rahmen der tiergestützten Therapie ausgeführt werden. Dabei richte man sich nach den Zielen der Patientinnen und Patienten. Während die einen an der Gangsicherheit oder der Raumorientierung arbeiten müssen, geht es bei anderen um Tagesstruktur oder Beziehungsarbeit.
Ein ausschlaggebender Punkt in der tiergestützten Therapie sei der Alltagsbezug. Gisela van der Weijden: «Das Tier hat einen hohen Aufforderungscharakter, es regt an, initiativ zu werden. Wir haben hier viele Menschen mit einer Hirnverletzung, die Antriebschwierigkeiten haben. Da macht Streicheln, Füttern oder auch mal Misten Sinn.»

In der Arbeit mit den Tieren könne eine Brücke zum Alltag geschlagen werden und es lenke von den eigenen Sorgen ab. «Viele sind in ihrem Leid gefangen. Mit den Tieren können sie sich um ein anderes Lebewesen kümmern, erste Reaktionen sehen und erfahren, was sie bewirken können. Das fördert das Selbstvertrauen.»
Viele merkten kaum, wie lange sie etwa mit einem Pferd gegangen seien – in der Physiohalle sei das Laufen anstrengender. «Deshalb ist das hier eine gute Ergänzung zu den anderen Therapien, bei denen man spezifisch an einem Thema arbeitet. Hier gehen wir umfassender vor», sagt die Physiotherapeutin, die sich in tiergestützter Therapie weitergebildet hat.
Effekt auf Tier und Mensch untersucht
Professorin Karin Hediger von der Universität Basel, die sich seit Jahren mit der Mensch-Tier-Beziehung befasst, stand beim Aufbau dieses Angebots beratend zur Seite. «Ich hatte von Anfang an den Auftrag, die Effekte der tiergestützten Therapie sowohl auf der Menschen- als auch auf der Tierseite zu untersuchen.»
So konnte sie etwa mit einer Studie zeigen, dass Menschen mit einer Hirnverletzung bei der tiergestützten Therapie mehr Sozialverhalten und positive Emotionen zeigen und motivierter sind als bei den herkömmlichen Therapiemethoden.
Andrew führt Schaf Isidor durch den Parcours
In der Zwischenzeit ist Andrew* (Name geändert, Anm. d. Red.) mit seinem Rollator in den Tiergarten gekommen. Die Wirbelsäule des 25-Jährigen wurde bei einem Unfall verletzt, sodass er zum inkompletten Tetraplegiker wurde.
«Die tiergestützte Therapie hilft mir beim Laufenlernen. Die ersten Schritte übte ich in der Physiotherapie – und mit den Tieren trainiere ich nun, auf unterschiedlichem Terrain zu gehen», sagt er. Die Tiere würden ihm helfen, Koordination zu gewinnen, indem er sich auf mehrere Dinge konzentrieren müsse. «Das ist eine gute Übung, um die Gehfähigkeit zurückzuerlangen, und die mir das Selbstvertrauen gibt, ohne Hilfe laufen zu können. Ausserdem ist es eine entspannende Therapie, die mich ablenkt.»
Andrew hatte schon immer einen guten Draht zu Tieren und liebt es auch noch heute, draussen in der Natur zu sein. Sein grösster Wunsch ist es, wieder wandern zu können.

Entschlossen stellt er den Rollator zur Seite und begrüsst Schaf Isidor. Die Therapeutin steht zur Sicherheit nahe bei ihm. Andrew legt ein Futtersäcklein mit Zwiebackstücken um und nimmt das Target in die eine und den Klicker in die andere Hand. Nun kann es losgehen.
Andrew führt Isidor durch den Parcours und muss gleichzeitig Klicker, Target und Leckerchen managen. Man sieht, wie er sich konzentrieren muss und dennoch Spass daran hat. Als Höhepunkt führt er das Schaf auf ein kleines Podest und hält ihm einen Reifen hin. Ohne lange zu überlegen, springt Isidor hindurch – eine Premiere, die grosse Begeisterung auslöst.
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