Allschwiler Mord bei «Aktenzeichen XY»20’000 Franken Belohnung für Hinweise
16 Jahre nach dem Mord an der Prostituierten Ana Paula bittet die Baselbieter Staatsanwaltschaft die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach dem Täter.

Wer hat im September 2006 die Prostituierte Ana Paula getötet und ihren nackten Leichnam im Allschwiler Wald zurückgelassen? Seit 16 Jahren befassen sich die Baselbieter Polizei und Staatsanwaltschaft mit dieser Frage. Der Fall ist der jüngste von insgesamt vier Tötungsdelikten im Baselbiet, die weder aufgeklärt noch verjährt sind – sogenannte Cold Cases. Aufgrund von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auf den Gebieten der Forensik, Psychologie und Rechtsmedizin wurde der Fall 2019 von Grund auf neu bearbeitet.
Nun starten die Ermittlungsbehörden eine zusätzliche Offensive, indem sie mittels Öffentlichkeitsfahndung die Bevölkerung um Mithilfe bitten. «Wir sind auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, sonst haben wir keine Chance, diesen Fall aufzuklären», betonte der fallführende Staatsanwalt Mark Balke am Montag vor den Medien. Für sachdienliche Hinweise bezahlen die Behörden bis zu 20’000 Franken Belohnung. Ab sofort können sich mögliche Zeugen unter der Nummer 061 553 20 30 bei der Stawa melden.
«Wir müssen alles wissen»
Nützliche Angaben erhofft sich die Staatsanwaltschaft insbesondere von Personen, die wie das Opfer damals in der Kleinbasler Drogen- oder Strassenstrichszene verkehrten und möglicherweise auffällige Beobachtungen gemacht haben. Das Lebensumfeld von Zeuginnen und Auskunftspersonen habe sich in den 16 Jahren verändert, so Balke. Deshalb sei es denkbar, dass Personen heute zu einer Aussage bereit seien, die das damals vielleicht wegen Solidarität oder besonderer Abhängigkeit nicht getan hätten. Alle möglichen Angaben zum Opfer und zu einem möglichen Täter seien aber wichtig. «Wir müssen alles wissen», so Balke.

Im Rahmen dieses Aufrufs zur Mitwirkung hat die Baselbieter Staatsanwaltschaft auch ausführlich über die bisherigen Erkenntnisse aus den Ermittlungen informiert. Demnach muss das Opfer am 2. September zwischen sechs und acht Uhr morgens erdrosselt worden sein. Zuletzt lebend gesehen wurde sie in der Wohnung eines nicht identifizierten drogenabhängigen Bekannten an der Haltingerstrasse 4. Der genaue Tatort ist nicht bekannt, die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Täter die Frau mit dem Auto vom Kleinbasel zur «Senke» im Allschwiler Wald transportiert hat. An der Leiche wurden zwar DNA-Spuren gefunden, sie konnten bisher aber keiner Person zugeordnet werden. Zudem sei unklar, in welchem Zusammenhang die DNA-Spuren zur Tat stehen, so Balke.
Ana Paula stammte ursprünglich aus Brasilien und war zum Zeitpunkt der Tat 31 Jahre alt. Sie war mit einem Schweizer verheiratet, die Beziehung ging allerdings in die Brüche. In der Folge erkrankte sie psychisch schwer, wurde kokainabhängig und prostituierte sich auf dem Basler Strassenstrich.

Zur Unterstützung der Ermittlungen hat sich die Stawa von Fachleuten des renommierten Polizeipräsidiums München unter anderem ein Profil des Täters erstellen lassen. Aus der sogenannten operativen Fallanalyse geht hervor: Der Täter dürfte zum Tatzeitpunkt 25 bis 35 Jahre alt gewesen sein, wäre heute also zwischen 40 und 50 Jahre alt. Der «mindestens durchschnittlich intelligente» Mann hatte Ortskenntnisse und dürfte sich auch im Kleinbasler Milieu und in der Szene am Strassenstrich ausgekannt haben. Umgekehrt dürfte auch er in der Szene bekannt gewesen sein.
Möglich, dass er dort schon in andere Konflikte mit Prostituierten verwickelt war. Abgesehen von seinen Aufenthalten im Milieu dürfte der Täter ein geregeltes und unauffälliges Leben geführt haben – gut möglich, dass er in einer Beziehung gelebt hat, wie der Münchner Kriminalrat Alexander Horn ausführte.
ZDF strahlt Sendung zum Fall aus
Horn attestiert dem Täter auch einen ausgeprägten Mangel an Empathie und psychopathische Persönlichkeitszüge. Typisch seien sein manipulatives Verhalten und seine abnormalen sexuellen Interessen, zu welchen auch Tötungsfantasien gehörten. Der Täter handelte stressresistent und konsequent und hat die Tat wohl im Voraus geplant. Dass er sein Opfer nackt zurückgelassen und die Kleider mitgenommen habe, deute auf ein gewisses Spurenbewusstsein, so Horn. Als Motiv geht man von sexuellen Beweggründen und dem Ausleben von Tötungsfantasien aus.
Um möglichst viele Hinweise zu erhalten, wird der Fall von Ana Paula am kommenden Mittwoch um 20.15 Uhr auch in der ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY… ungelöst» thematisiert. Das sei insbesondere deshalb sinnvoll, weil der Täter nicht zwingend aus der Schweiz kommen muss, sondern möglicherweise auch aus den angrenzenden Ländern Deutschland oder Frankreich stammen könnte. Verjährt wäre der Fall – wenn es sich tatsächlich um Mord und nicht um vorsätzliche Tötung handelt – im Jahr 2036. Kommt ein Gericht dereinst aber zum Schluss, es handle sich nur um vorsätzliche Tötung, wäre die jetzige Ermittlungsoffensive vergeblich. Der Fall wäre seit 2021 verjährt.
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