«1 Million Kubikmeter Fels akut absturzgefährdet»
Im Bergsturzgebiet im Bergell sind die Räumungsarbeiten am Samstag dank ruhigen Wetters verstärkt worden. Die Gefahr in der Region ist noch nicht gebannt.
Im Bergsturzgebiet im Bergell sind die Räumungsarbeiten am Samstag nach einer Wetterberuhigung wieder intensiviert worden. Der Wasserstand der Maira, die durch Geröllmassen gefüllt ist, hat sich zurückgezogen. Erneute Murgänge können aber nicht ausgeschlossen werden.
«Wenn eine Mure kommt, muss das Gefahrenfeld innert vier Minuten geräumt sein», sagte Christian Gartmann, Sprecher des Führungsstabes der Gemeinde Bregaglia, am Samstagmittag auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. Um freie Fluchtwege zu haben, stünden deshalb im Moment nur rund 50 Einsatzkräfte im Einsatz. Es bestehe weiterhin die Gefahr von Bergstürzen. Spezialisten der Armee, welche im Bergsturzgebiet postiert sind, würden die Arbeiter im Notfall alarmieren.
Sanierungsarbeiten bei Spiro
Die Gerölllawine in der Nacht auf Freitag hatte das Flussbett der Maira mit Kies gefüllt. Die Böschung wird laut Gartmann mit Steinen befestigt, damit die Strasse nicht unterspült wird. An der alten Kantonsstrasse bei Spino sind Sanierungsarbeiten aufgenommen worden. Dort stand der Schlamm teilweise über einen Meter hoch.
Im Auffangbecken für Murgänge konnten schwere Maschinen damit beginnen, die neue Kantonsstrasse freizuräumen, wie Gartmann am Abend mitteilte. Sie wird benötigt, um später den Schutt und die Felsen aus dem Becken zur Deponie zu transportieren. Zudem müsse es gelingen, den Flusslauf der Bondasca wieder unter die Strassenbrücke zu verlegen, denn sie fliesse an dieser Stelle immer noch über die Strasse.
Im Bergsturzgebiet im Bergell sind die Räumungsarbeiten im Gange. Video: Tamedia/SDA
Strassenverbindungen unterbrochen
Im Felssturzgebiet im Seitental Val Bondasca haben laut Gartmann 30 Übermittlungsspezialisten der Armee damit begonnen, eine Richtstrahlanlage für die Sprach- und Datenübermittlung zu installieren. Damit soll die Alarmierung im Notfall sichergestellt werden. Die Gefahr weiterer Felsstürze und Murgänge sei weiterhin «sehr hoch»: «Eine halbe bis eine Million Kubikmeter Fels am Piz Cengalo sind akut absturzgefährdet», schreibt Gartmann.
Das Bergell ist seit Mitternacht wieder vom Engadin her erreichbar. Die Zufahrt nach Soglio von Italien her ist eingeschränkt möglich. Wann die Malojastrasse H3 wieder eröffnet wird, wird am Dienstag entschieden.
Die evakuierten Bewohner der Gemeinden Bondo und Spino können bis auf weiteres auch nicht in ihre Häuser zurück. Im Tal sei der Zusammenhalt sehr gross, sagte Gartmann: «Die grosse Solidarität und die geleistete Soforthilfe sind ein weiterer Lichtblick für die Betroffenen.»
Helikopter sind im Dauereinsatz. Video: Tamedia/SDA
Gemeindepräsidentin hat offenes Ohr
Man spüre schon auch Verzweiflung im Tal, sagte Christian Gartmann, Sprecher der Gemeinde Bregaglia, am Freitag der Nachrichtenagentur SDA. Viele Menschen seien erschüttert. «Manche mussten so schnell flüchten, dass sie nicht mal eine Bankkarte mitnehmen konnten», weiss er. Und KMU-Besitzer hätten ihre Firma wörtlich davon schwimmen sehen. Die gegenseitige Anteilnahme sei nun gross. Die Bevölkerung halte zusammen. Man helfe sich gegenseitig. Das Gemeindehaus und das Büro der Gemeindepräsidentin Anna Giacometti stünden allen jederzeit offen.

«Wer kommt, dem wird geholfen», berichtet Gartmann. Ein Grossteil der aus Bondo und nun auch aus Spino evakuierten Menschen ist bei Verwandten und Freunden untergekommen. Einzelne fanden Zuflucht im kleinen Talspital.
Ein zweiter Murgang in Bondo um drei Uhr in der Nacht hatte erneut die Talhauptstrasse überschwemmt. Erstmals walzten sich die Geröllmassen aber weiter über den Bergfluss Maira bis auf die andere Seite des Tales. Dort wurden in der Ortschaft Spino ein paar Häuser beschädigt.
Verletzt wurde niemand. Spino war vorsorglich schon um 23 Uhr evakuiert worden. Wie lange es dauern wird, die verschütteten Strassen freizuräumen, war am Freitagmorgen noch unklar.
«Wir dachten, es donnert, doch es waren Steine», schildert eine Anwohnerin ihren Eindruck des neuerlichen Murgangs in der Nacht gegenüber SRF. Christian Gartmann, Mediensprecher des Katastrophenstabs, bestätigte, dass es keine weiteren Verletzten gegeben hat. Aus Bondo seien bereits alle Einwohner evakuiert worden. Im kleinen Ort Spino seien noch zwei Personen in einem Haus eingeschlossen gewesen. «Sie wurden noch noch vor Mitternacht in einer wilden Aktion mit dem Helikopter geborgen.»
Im Moment sei das Ausmass der neuen Murgänge noch nicht abzuschätzen, auch über zusätzliche Schäden kann noch nichts gesagt werden. «Wir gehen davon aus, dass dieser Murgang einer der grössten, wenn nicht der grösste der letzten Tage ist», sagt Gartmann gegenüber SRF.
Die Mure nach den Gesteinsabstürzen wälzte sich danach durch das Seitental Val Bondasca bis ins Auffangbecken vor Bondo in der Bergeller Talsohle. Sie füllte das in den letzten Tagen teilweise entleerte Becken, passierte die neue Kantonsstrasse und füllte auch das Bachbett der Maira.
Zudem zerstörte der Erdrutsch Stromleitungen in Promontogno, sodass das Licht ausfiel. Der Ort Promontogno liegt ebenfalls im Bereich des Bergsturzgebiets, auf einer leichten Anhöhe neben Bondo auf der linken Talseite.
Per Helikopter gerettet
Nach Angaben der Gemeinde Bregaglia wurde auch die alte Kantonsstrasse auf der rechten Talseite mit Schlamm überdeckt. Dadurch blockierte der Murgang die Durchfahrt durch das Bergell auf den Strassen.
Die Bewohner und Hotelgäste im Ortsteil Spino gegenüber von Bondo wurden in Sicherheit gebracht. Einwohnerinnen und Einwohner hätten mit Sack und Pack fluchtartig das gefährdete Gebiet verlassen, berichtete ein SRF-Reporter vor Ort.
Zwei ältere Erwachsene wurden in einem Gebäude eingeschlossen. Die Rega konnte sie mit einer Winde unverletzt bergen. In Spino beschädigte der Erdrutsch mehrere Häuser. In Promontogno, im Ortsteil Sotoponte, und in Bondo wurden Häuser komplett zerstört. Einige beim ersten Bergsturz am Mittwoch letzter Woche verschonte Strassen von Bondo wurden mit Schlamm überflutet.
Am Abend und in der Nacht standen rund 50 Einsatzkräfte im Einsatz, darunter Gebirgsspezialisten der Armee und Mitarbeiter des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich.
Derweil wird fieberhaft im Auffangbecken vor Bondo gearbeitet. 16 Bagger waren laut Gartmann am Donnerstag pausenlos im Einsatz. Sie holten das angeschwemmte Material des letzten Murgangs aus dem Becken. Damit wird Platz geschaffen, sollte sich wieder ein Murgang aus dem Val Bondasca wälzen. Dies ist laut Rüegg jetzt geschehen: Das ausgebaggerte Becken sei wieder aufgefüllt.
Acht Tote beim ersten Bergsturz
Ein neuerlicher Bergsturz mit Murgang im italienischsprachigen Bergell war nach dem Ereignis vom Mittwoch letzter Woche erwartet worden. Am Grenzberg Piz Cengalo befanden sich 500'000 bis eine Million Kubikmeter Gestein in akuter Absturzgefahr. Die Wetterdienste hatten am Donnerstag grosse Regenmengen angekündigt.
Infografik: Felsbewegungen am Pizzo Cengalo

Drei Millionen Kubikmeter Fels waren beim ersten grossen Bergsturz am Mittwoch letzter Woche abgebrochen, als sich der Murgang danach ein erstes Mal bis vor Bondo ins Haupttal Bergell wälzte. Acht Berggänger – vier aus Deutschland und je zwei aus Österreich und der Schweiz – kamen wohl ums Leben.
Die Suche nach ihnen wurde eingestellt. Über das ganze Absturzgebiet, das nicht betreten werden darf, verhängten die Behörden ein Flugverbot, das auch für Drohnen gilt.
Spenden für Bondo
Zahlreiche Personen haben sich bei der Gemeinde Bregaglia GR gemeldet und sich erkundigt, wie sie helfen können. Die Gemeinde hat deshalb ein Spendenkonto eingerichtet.
SDA/nxp
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